Kinderknäste wie Freistatt gab es überall in Ost und Westdeutschland und sind auch noch in vielen Elternhäusern anzutreffen

Wie mir Freunde und Bekannte berichteten, welche öfters auch mal in andere Spezialheime abgeschoben wurden, waren Anstalten in den Bezirken Halle und Leipzig scheinbar die perversesten.
Möchte in dem Zusammenhang aus eigener Erfahrung mal noch etwas anderes in den Raum stellen, nämlich das Verhalten jener Kreaturen in nicht unmittelbarer Umgebung von solchen Institutionen, meinen Mitschülern und den Leuten mit denen man im Laufe der Zeit irgendwie zu tun hatte. Dazu gehörten beispielsweise in Stolberg der idiotische Frisör, Angestellte vom Freibad sowie etliche Lehrer.
Der erste Heimaufenthalt von meiner Schwester und mir lief elephantös ab. Wir waren im Frühsommer 1953 in einem kleinen Kinderheim des Harzdörfchens Friedrichsbrunn gelandet, weil zuhause Chaos herrschte. Anlässlich des 17. Junis, ward Opa von Kommunisten fast totgeschlagen worden, die Scheidung unserer Eltern lief an und das Muttertier verzichtete in der Situation nicht auf ihre Fortbildung an der Hallenser Knüppelakademie
Unter liebevollem Einsatz der alten Heimleiterin, einer Bekannte der Großeltern, genossen wir nach einer kurzen Heimwehphase eine herrliche Zeit.
Das folgende Jahr schloss sich eine vierwöchige Luftkur in Graal-Müritz an, die allerdings mit einer Malaise begann. Unsere Jungengruppe durfte von der gepflasterten Strandpromenade den Weg zum Strand rennen, dabei erdete ich mich am zweiten Tag so schlimm, dass der Tag mit einer Verarztung und viel Schmerzen endete. Die folgenden Wochen liefen dann noch sehr spannend und fröhlich ab.
Ein Jahr später landeten wir in Alt Töplitz, im dortigen DfD-Kinderheim am südlöstlichen Dorfrand auf dem Berg. Ehemals die Villa Lehmann, des Uhrmachers Heinrich Lehmann, dem Erfinder der Tankanzeige für Flugzeuge. Einem riesigen Gelände in Autobahnnähe, bestimmt 10 ha groß…
Als Wichtel fand ich das ganze tägliche Brimborium, beginnend mit der täglichen Fahnenweihe, nicht weiter schlimm. Meine Schwester drehte dort total durch, bei den geringsten Widrigkeiten rannte sie zu mir, klammerte und weinte unendlich, aller Erzieher waren hilflos und ich flippte langsam aus. Als sie sich nach Wochen endlich etwas beruhigte, lief dann bei mir alles schräg, wegen der vorangegangenen laufenden Überforderung. Dies änderte sich schlagartige, als ein junger Erzieher auf die Idee kam und mich in die Schule steckte. Meine Lehrerin kümmerte sich rührend um mich, innerhalb ganz kurzer Zeit konnte ich lesen und schreiben, im Heim tat es der Erzieher weiterführend.
Das wesentliche Problem in den dortigen Monaten war das Zusammentreffen mit dem Dorfpiepels. Im Rudel wurden wir morgens in der Zwergschule abgeliefert, allein zurücklaufen ging gar nicht. Ewig gab es dann Prügel für die Ableger der Roten Zecken oder es regnete von irgendwo her frische Pferdeäpfel und Kuhfladen.
Will hier nichts weiter ablassen, nur abschließend noch eine entscheidende Kleinigkeit. Unser Muttertier hatte uns dort untergebracht, weil unsere Großeltern während der Erziehung ihrer Enkel total versagten, wie sie immer behauptete. Der eigentlich Grund war aber der, die stramme Genossin traf Vorbereitungen, sich mit einem Major der Roten Armee und ihren Gören in die Sowjetunion zu verkrümeln. Dem Herr sein Dank, von Großmutter wurden wir kurz vor dem entscheidenden Termin entführt, ihre Aktion ward natürlich mit einer DDR-weiten Fahndung verbunden…
Jahrelang wurde ich anschließend wegen der Affäre von den Mitschülern und manchen Lehrern gemobbt.
Eigentlich hätte ich nie in die erste Klasse eingeschult werden dürfen, kam mir dort nämlich vor, wie unter einem Rudel kleiner Idioten. Musste ewig irgendwelche Buchstaben mit den anderen in die Luft malen, geschah dies mit der linken Hand, gab es mit einem Lineal oder dem Zeichenstock Zunder.
Von dem Zeitpunkt an, griff Großvater ein und nahm sich meiner an. Gab mir Tips und Hinweise, wie ich dieser witzlose Langeweile in der ersten Klasse begegnen könnte. Sollte gewissenhaft das Verhalten meiner Klassenkameraden nebst der Lehrer in den unterschiedlichsten Situationen beobachten und entsprechende Vergleich anstellen! Vor allen Dingen mehr Wert auf das Handeln legen, statt sich ewigen Plappereien hinzugeben. Immer die eigenen Bedürfnisse anmelden und dann auch zu seinem Wort stehen, besonders wenn sich das dröge Rudel zu irgendwelchen spontanen Aktionen hinreißen lässt. ..
Während der Grundschule folgten noch zwei sechswöchige Kuren, eine in Bad Sulza, die andere in Blankenburg. Irgendwann registrierte ich nach kurzer Zeit immer einen Wandel bei meinen Kameraden mir gegenüber. Der trat ein, wenn langsam durchsickerte, dass es sich bei mir um den Ableger einer dummgeilen 1000prozentigen Alt-Stalinistin handelte. Später, in den Kinderferienlagern oder weg von zuhause, setzte sich diese Abgrenzung noch wesentlich stärker fort. Dabei wollte ich ebenso in der Masse unauffällig mit schwimmen, was aber fast nie machbar schien, wegen des roten Kainsmals. Was hat mich die Alte mit ihrem dämlichen Gequatsche ewig bloßgestellt: Mein Sohn geht demnächst auf die Kadettenanstalt und anschließend wird er Pilot bei der NVA…
Es kostete ewig unwahrscheinlich Kraft, mir nicht permanent die aufkommende Scham anmerken zulassen. Die Frau hielt ich immer mehr zonenspezifisch erkrankt, alles verschärfte sich, als sie auch noch jenes rote Pack mit nachhause schleppte und selbige Flachzangen ebenso über mich herfielen. Scheinbar sollte ich von den allen, deren bereits verwesten Träume verwirklichen.
Langsam entwickelte ich einen fast pathologischen Gerechtigkeitssinn, tat voller Elan nur noch die Sachen, hinter denen eine für mich erkennbare Bedeutung steckte, daher resultiert auch meine extreme Aversion, mich irgendwelchen Meuten anzuschließen.
Wurde Klassenkasper und bekam eine große Klappe, dass man mir nachsagte, ich könnte ein Brot quer fressen. Ging irgendetwas schief, wurde ich kurzfristig etwas zurückhaltender und begegneten anschließend sämtlichen Leuten, die mir dann immer helfen wollten, mit totaler Verstocktheit.
Bereits zum Ende der siebten Klasse hatte ich begonnen mich sachte in der Schule zu verweigern.
Jener Verdummungsprozess, den mir die Mutter meiner Schwestern immer wieder angedeihen ließ, hatte wiedermal einen Höhepunkt erreicht. Sie verbot mir die Teilnahme am fakultativen Englischunterricht.
Nun wurde auch im Osten permanent mit der Schulpflicht und der daraus resultierenden Bildung herumgehurt, aber – es fand sich keine Möglichkeit diese zweite Fremdsprache zu erlernen, weil meine Erziehungsberechtigte ihre schriftliche Einwilligung dafür nicht gab…

Hier noch der Link zum Film: Freistatt

2 Gedanken zu „Kinderknäste wie Freistatt gab es überall in Ost und Westdeutschland und sind auch noch in vielen Elternhäusern anzutreffen

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