21… August 1968

aus: …verschollen unter Hallensern, Halloren und Halunke (1983)

… eine an Schärfe zunehmende Pressekampagne gegen die Zustände im Tschechland verlagerte sich immer mehr auf die Titelseiten der Postillen.
Tägliche Zeitungsschauen, die sich mit jenem Thema befassten, verkamen immer mehr zu Vorlesestunden von Resolutionen. Da wurden Drohungen aller Parteivorsitzenden der Kommunistischen Partei des Warschauer Paktes vorgetragen, Erklärungen diverser Zentralkomitees zum Besten gegeben, Stellungnahmen des „werktätigen Volkes“ verlesen, und in Prag gaben sich die Stare des Warschauer Paktes die Klinke in die Hand. Frenetisch empfing die Tschechoslowakische Bevölkerung Tito und den Führer aus Rumänien. Sogar Ulbricht erschien mit Gefolge, ihn hätten die Leute sicher gerne in seine tauben Nüsse gelatscht…
Aufregung brachte ein Gerücht, in dem es hieß, es würde eine Verpflichtung vorbereitet, die von den EKs unterschrieben werden sollten, betreffs einer freiwilligen Verlängerung des Wehrdienstes. Frei nach der Devise Führer befiel – wir folgen, auf 1968 übertragen, ein freiwilliges Muss, wenn die Partei rief. Die Parteigruppen setzten schließlich einen ähnlich lautenden Schrieb auf, der aber alle Soldaten einschloß. Dieses Unterfangen wurde beizeiten abgebrochen, da sich wider Erwarten, eine beträchtliche Zahl von Soldaten weigerte, zu unterschreiben. Unterschrift hin oder her, wenn die “Oben” befahlen, den Wehrdienst zu verlängern, würde es sowieso keine Diskussion darüber geben. Dann gab es nur, entweder Dienen oder Knast, also was sollte der Quatsch. Fest stand, dass die Unterschriftsverweigerer im Auge behalten wurden, nebenbei das Klima auf den Stuben sich noch weiter verschlechterte, da Rädelsführer für den Boykott her mussten.
Die Stimmung schlug erst wieder in der Nacht um, als wir in ein Sommerlager reisen sollten. In der Nacht zum 21. August, um 2 Uhr, gab es Alarm, da die Termine für ein Lager nie festlagen, kein Grund zu irgendwelchen Vermutungen.
Die Gerüchteküche begann zu schmoren, als strikte Einhaltung der Verdunklungen an den Fenstern verlangt und auch kontrolliert wurde. Trotz der Dunkelheit konnte der Aufmarsch beider Bereitschaften festgestellt werden. Wirklich alles wurde verladen und merkwürdiger Weise befanden sich auch sämtliche Offiziere im Objekt. Sie schienen zwar hektisch, aber sehr freundlich, und keiner hastete mit einer Stoppuhr umher.
Von den wenigen Ausgängern jener Nacht kamen unfaßbare Informationen. Radio hatte ich schon seit Tagen nicht mehr gehört, die Filzungen nach diesen Teilen nahm rapide zu. Es befanden sich nur noch zwei solcher Minis in der Kompanie. Der “Micki” vom dicken Wolf befand sich aus Sicherheitsgründen in der Waffenkammer. Fassis “Kosmos”, etwas größer als eine Streichholzschachtel, dessen Knopfzellen ewig aufgeladen werden mussten, lag versteckt auf seinem Bock, in der Garage. Kurze Zeit darauf verließen sämtliche Fahrzeuge der XII. das Gelände, vereinzelt auch LkWs unserer Bereitschaft. Wie sich später herausstellte, fuhr die XII. zur Grenzsicherung ins schöne Erzgebirge.
Die wenigen Fahrzeuge der VI., die rausdüsten, bezogen Wartestellungen im Zentrum, um bei eventuell eintretenden Provokationen die verstärkten Streifen der Kantenlatscher zu unterstützen. Außerdem, um militärisch präsent zu sein vor dem “Kreml”, dem Gewerkschaftshaus, dem Bahnhof und anderen öffentlichen Gebäuden.
… eine Anweisung gab sehr zu denken. Die Nachtruhe sollten wir anschließend in voller Montur fortsetzen, das Entkleiden war verboten, außerdem die Wäffchen an den Betten auf gehangen werden, was nie vorher passierte. Im Kompaniebereich erfolgte noch die Durchsage: morgens, 7 Uhr, geschlossen einer Rede vorn Spitzbart, der nebenbei noch Vorsitzender des Verteidigungsrates der DDR war, zu lauschen.
Der Rest der Nacht schien gebongt, nur wenige konnten schlafen. Verdammt noch mal was war geschehen? Da sich herum sprach, dass die Tschechen ihre Grenze nach dem Westen einrissen, konnten schließlich von der anderen Seite auch die Leute rein. Ob womöglich die Bundeswehr einmarschierte und DDR-Soldaten sie unter den Augen sämtlicher Besatzer wieder rausschmeißen sollten?
An das Kompanieradio wurden nur noch die vergatterten Horchdienste rangelassen. Sie wechselten sich alle zwei Stunden ab und hielten stichpunktartig die neuesten „Nachrichten“ schriftlich fest.
Die Rede von Onkel WU gab nichts her. Einige unbekannte Genossen in Prag „schrieen nach Hilfe“ und schienen sie zu bekommen. Ulbricht rief zu besonderer Aufmerksamkeit in sämtlichen Lebenslagen auf, da die “Bonner Ultras” nicht schliefen und gerade jetzt an allen Fronten zuschlagen würden. Im Laufe des Vormittags gelang es dem stellvertretenden Waffenscheich, westliche Nachrichten zu erheischen: fast alle Staaten des Warschauer Paktes hatten die CSSR besetzt. Fortan hieß sie nicht mehr „Tschechoslowakische Sozialistische Republik“, wie erst kürzlich umbenannt, sondern Tschechoslowakische Sowjet Republik.

An der Hallenser Universität gab es mehrer kleine Flugblattaktion, dann und wann erschien auch mal eine Losung an Mauerwänden.
Ab sofort herrschte Ausgangs- und Urlaubssperre. Die sehr kurze Periode des Gefühls, im gleichen Boot zu sitzen, wich der Anmache.
Nach wenigen Tagen wurden die Vorgesetzten auch wieder rücksichtsloser, es begann während einer aggressiven Zeitungsschau, als Offiziere rabiat aufkeimende Unmutäußerung abwürgten. Meine Wenigkeit brachte verbal aufs Trapez, was andere nicht trauten auszusprechen und verurteilte den Einmarsch. Als sich alles wieder in gelenkten Bahnen bewegte, zückte jemand vom Stab die vorgefertigten Erklärung für alle EK´s, im Ernstfall freiwillig den Wehrdienst zu verlängern. Schließlich unterschrieben alle, bis auf mich. Zweimal haben mich Offiziere zu Handlungen erpresst, jetzt kurz vor Toresschluss, nicht noch mal.
Hinterher kam mir alles sehr merkwürdig vor, wiederholt zitierte man mich in den Stab, wobei immer wieder Unbekannte in DEDERON auftauchten. Natürlich kroch oft auch Angst hoch, schließlich äußerte ich keinen Mucks mehr, bekam dadurch sehr viel Dienstfrei und nach drei Tagen schien sich alles totgelaufen zuhaben. Mein Gefühl der Machtlosigkeit blieb aber genauso erhalten, sie ließen mich in Ruhe, möglicherweise, da man öffentlich nichts mehr von mir vernahm. Merkwürdig, niemand der Kumpels versucht meine Entscheidung anzufechten, wir waren uns aber sicher, dass der Stab trotzdem 100% nach oben meldete, dessen ungeachtet blieb ich einziger Verweigerer der Garnison. Trat in der Folgezeit auch etwas kürzer, zumindest einige Wochen.
Die Situation begann schleichend zu eskalieren, es ging jetzt täglich im Laufschritt aus dem Bett und abends eben so schnell retour.
Jeder wurde aggressiver, immer derselbe einfältige “Dienst”, nur täglich etwas verschoben. Langsam sickerte durch, dass viele Stabsoffiziere Besuch von ihren Ehefrauen erhielten, wovon sich jeder auch überzeugen konnte. Die Frauen wurden mit Unmutsäußerungen von Soldatenseite begrüßt oder verabschiedet. Vielerlei Anmache kam so massiv, das die Damen sich rennender Weise die Ohren zuhielten, um so schnell wie möglich zu verschwinden.
(Meister Tebach aus der 2. Kompanie, trieb es die gesamte Zeit in der Kompanieeffektenkammer mit seinen Tucken so arg, dass er Ende Oktober auch entlassen wurde, obwohl der § 175 – erst wenige Wochengestrichen – bei Erwachsenen nicht mehr zur Anwendung kam.)
Die Tage wollten nicht vergehen. Am meisten nervte mich der politische Schwachsinn, der überall abgelassen wurde, aber wirklich zu den unmöglichsten Anlässen. Kein Wunder, dass der kleinste Funke genügte, um die Soldaten zum Ausrasten zu bringen.
Ende August wurde ein Mucker zu uns verleg, er landete auf einer Bude des 3. Zuges, auf der Dshings lag. Der Typ schwieg tagelang und schien von irgendetwas reichlich mitgenommen zu sein, nachts heulte er oft und phantasierte. Dshings brachte ihn zum Reden, und mit seinem Einverständnis bekam ich es zu hören.
Er stammte aus der XII. und zurück nach Halle strafversetzt worden, 24 Stunden im “Roten Ochsen” durch die Mangel genommen worden und „verpflichtete“ sich per Unterschrift, über den Grund der Versetzung zu schweigen.
Sein Schlamassel begann damit an, dass die Bevölkerung auf DDR-Seite sämtliche Soldaten wie die Pest mied. Schließlich bemalten auf tschechischem Gebiet Unbekannte über Nacht, mit riesigen Druckbuchstaben ein Scheunendach: 1938 HITLER – 1968 ULBRICHT.
Nach diesem Erlebnis redete der EK sich ein: Nur nicht nachdenken, in ein paar Wochen bist du zu Hause und der ganze Scheiß ist vorbei!
Wenn es mal kommt, dann aber dick.
Er und ein Kapo bewachten nachts die Straßensperre eines Feldweges in Richtung CSR. Der aber Einheimischen in gewissen Situationen als Schleichweg diente, da er nur durch ein Waldstück führte und zwei Dörfer miteinander verband. Es handelte sich dabei eigentlich nur um eine Schranke, die aus einem umgekippten Fahnenmast bestand. Warum man sie dort errichtete, durchblickte von den Soldaten anfangs niemand. Weit nach Mitternacht tuckerte ein Trabbi heran mit deutschem Kennzeichen. Als er um die Kurve fuhr und den Schlagbaum vor sich sah, verlangsamte er die Fahrt.
Der Kapo gab mit in Rotlicht das Stoppsignal. Als er den Rotfilter seiner Taschenfunzel weg schob, um mit normalem Licht in das Auto zu leuchten, gab der Chauffeur speed. Der Mast krachte, Frontscheibe und Dach des Autos wurden leicht deformiert, beiden Soldaten hechteten zur Seite.
In Schlangenlinien und mit röhrendem Motor entfernte sich das Fahrzeug, als sein Vorgesetzter den Befehl zum Feuern gab, der Soldat perplex – tat nichts. Nach dieser Schrecksekunde brüllte der Unteroffizier mit gezogener Pistole auf ihn ein, doch endlich zu schießen.
Befehl ist Befehl. Er hielt sofort voll drauf, ohne einen Warnschuss abzugeben. Der Wagen kam vor einem Baum zum Stehen. Der Fahrer starb noch am Unfallort, ein anderer, der wimmernd aus dem kaputten Trabbi kroch, fragte nur immer wieder:
“Warum denn das? Warum denn das…?“
Die Sperre erst am Abend errichtet, war unter der Bevölkerung noch nicht publik geworden. Beide Insassen wollten lediglich verbergen, dass sie leicht angesoffen, auf diesem Schleichweg zu Muttern wollten. Der Fahrer dachte lediglich, durch seine Flucht im Besitz der Pappe bleiben zu können.
Das nächste Problem für den Soldaten bestand darin, er sollte für sein “beherztes Eingreifen” auch noch ausgezeichnet werden. Für sich selber war er zum Mörder geworden, trotz der Umstände. Dass er keinen Warnschuss abgab, stand überhaupt nicht zur Debatte. Von da an “sollten die Schweinereien, die dort geschahen, ohne ihn stattfinden”, damit nichts weiter durchsickerte, überstellte man ihn am gleichen Tage noch in den “Ochsen”…

Eine Fußnote:
An Hand meiner Stasiakte war ersichtlich, dass nach der Versetzung in den 1. Zug, von acht Leuten auf der Stube, sich vier als IM´s betätigten, einschließlich des Gruppenführers. Was mich verwunderte, der Politnik, Ltn. Golde, ging auch nur als IM für die Stasi auf den Strich, alle nahmen an, er sei hauptamtlicher Knecht der Firma.

AOPK-97….Betrachtungen v. d. anderen Seite

Ein Gedanke zu „21… August 1968

  1. IM Mischa

    Scheiß Armee – bin froh, als Westberliner selbständig politischer Drückeberger nicht hingemusst zu haben.
    Sag mal, du aktiver Beatanhänger, haben die in Mielkes Verein denn schon mit Microsoft Word gearbeitet? Die Schriftart ist ja voll krass!

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