Sonntag, 01.11.2015 von 11.00 bis 16.00 Uhr in Potsdam,
Neuer Lustgarten – Lange Brücke
Muss zur Schneiderei noch etwas ablassen!
Es betrifft die Reparatur einer ollen Veritas–Maschine aus Wittenberger Produktion, die mehrere Jahre nur herumstand. Kurz angeschaut und eine leichte Verharzung an den beweglichen Teilen diagnostiziert. War ganz schön schwierig den alten Dreck zu entfernen, da mir schon länger der letzte Vorrat an Trichlor ausgegangen war – bekanntlich ein Scheißzeug, aber als Fettlöser unverwüstlich. (1971 hatte ich im Mifa-Werk in der Tri-Küche gejobbt, dort wurde mit 80 Grad heißem Tri das Hartfett der geschnittenen Rahmenrohre abgekocht und alles geschah in einem sehr schlecht gelüfteten Räumchen. Ein paar Jahre später manschten wir in der berühmten Firma „Sonnenschein“ auch noch mit dem Zeug herum…)
Alles wurde mit entsprechendem Öl versehen, die Maschine äußerlich noch poliert und die Möhre summte anschließend wieder, wie eine Hummel. Dann musste ich beim beim Einfädeln feststellen, es fehlte das Schräubchen für die Spannfeder der Spulenkapsel – Bullshit!
Schüttelte die Möhre, stauchte sie auf dem Tisch mehrfach heftig auf, das winzige Biest fiel nirgendwo heraus.
Also im Netz Telefonnummern herausgesucht. Nirgendwo ging anschließend jemand ans Rohr, nur bei Singer am Leopoldplatz ertönte ewig ein Besetztzeichen.
In meheren Reparaturfirmen erreichte ich nur die Ehefrauen und die gaben alle an, dass sie eins viel hatten, nämlich keine Ahnung! Hinterließ meine Teflon-Nummer und bat um Rückruf – bei Singer immer noch das bekannte Tuten…
Währenddessen hatte ich Netz herausgefunden, wo es Spulenkapsel gab – Minimum 30 Euronen, nirgends war besagtes Schräubchen zu ergattern. Nach zwei Stunden meldete sich ein Typ aus Neukölln, er könne mir zwar nicht sofort helfen, weil er auch bestellen müsste. Bekam von ihm aber die Nummer vom Berliner Crack aus dem Prenzelgebirge – gleiches Spiel, nur die ahnungslose Gattin am anderen Ende. 30 Minuten später klingelte er mich an. Bla, bla, bla, dann die Frage nach dem Winzteil, seine Stimme hob merklich an, ob ich mir vorstellen könnte, was er für eine Lagerkapazität haben müsste, wenn jeder so ankäme. Allerdings dürfte ich mir sofort, für den Sonderpreis von 35 Euro, eine nagelneue Kapsel holen. „Sag mal Scheff, du willst mich aber nicht verscheißern? Von wegen Lagerkapazität, ist deine Firma eine Puppenstube? Scheff, von den Schräubchen passen über 1000 Stück in eine Streichholzschachtel! Danke und tschüss.“
Danach endlich die Verbindung zur Firma am Leopoldplatz, ich schilderte mein Begehren und eine freundlich Frauenstimme entgegnete nur: „Bringen sie bitte ihre Spulenkapsel mit, wir werden so ein Schräubchen mit großer Sicherheit finden. Sie müssten aber bereit sein, für unsere Aufwendung mindestens einen Euro zuzahlen!“
Da blieb mir wohl nicht anderes übrig und in dieser Hitze nach dem Wedding zu peesen.
Da fiel urplötzlich mein alter Reparaturnick in der Johann-Georg-Strasse ein. Der Scheff ist zwar anfangs immer ein bisschen brummig, hat aber bärenmäßige Ahnung, bei ihm hatte ich mir für meine alte Pfaff-Schrankmaschine schon öfters Ersatzteile besorgt. Sofort dort angerufen und es erfolgte der gleiche Spruch wie vor einigen Minuten – rauf aufs Radel, 50 Cent gelöhnt und retour.
Alles wurde getestet, sämtliche Zierstiche funktionierten einwandfrei, allerdings ist auch diese Maschine nicht das Nonplusultra, ähnlich der meinigen! Wenn man solche riesigen Pfoten hat, bereitet es wahnsinnige Schwierigkeiten die Spule unten rein zu fummeln, außerdem ist die Druckeinstellung des Nähfußes vollkommen blödsinnig geregelt. Dafür muss seitlich erst ein Stück Verkleidung entfernt werden. Bei meiner Maschine kann man zwar die Druckeinstellung und die Spule sehr einfach händeln, allerdings sind Stichlängen und deren Veränderungen recht kompliziert einzustellen. Für andere Zierstiche müssen zudem Einstellräder ausgetauscht werden und das Teil hat das Gewicht eines kleinen Panzers, was für mich allerdings kein Problem darstellt.
Aber jetzt kommt es!
Niemals vorher hatte ich jemals solch eine geile Gebrauchsanweisung für Haushaltmaschinen vor meinen Augen gehabt.
Da hatten sich die Wittenberger aber mächtig gewaltig etwas einfallen lassen!!!
In diesem Begleitheftchen befindet sich das kleine Einmaleins der beginnenden hohen Nähschule drin – ganz kurz und bündig, es wurde auch nichts vergessen!
Zu manchen technischen Details der eigentlichen Näherei wurde ich immer mal wieder gelöchert, nun kann ich auf die gigantischen Aufzeichnungen verweisen!
Hätte fast eine Winzigkeit vergessen! Als ich zum Schluss das dazugehörige Equipment in der Maschine verstauen wollte, lag plötzlich das ursprüngliche Schräubchen einsam im Unterteil herum…
Fußnote zu meiner Maschine.
An dem Sonntag, als ich mir gegen 13 Uhr, die Maschine abholte, handelt ich mir anschließend bei der Scheffin mächtigen Ärger ein, denn wir wollte noch am letzten Tag in eine Ausstellung.
Am selben Tag, gegen 22 Uhr, lief das Teil dann wieder wie eine Hanne.
Die beiden Jungs, von denen die Maschine stammte, hatten sich ein wesentlich leichteres Superteil, für fast 1000 Euronen zugelegt. Dabei hätte die total versiffte alte Maschine lediglich mal richtig gereinigt werden müssen, dafür hatten sie aber nur zwei linke Hände mit der entsprechenden Anzahl von Daumen. Statt mal 100 Glocken für eine Durchsicht ans Bein zu binden, wurde heftigst gesoffen, dadurch kannte ich beide seit Mitte der 1980er.
Der Scheff, von Beruf Schneider, hatte mit dem Handwerk nicht mehr viel am Hut, verdingte sich stattdessen, beim Staatsschutz, als Knecht für den Transport von Akten. Sein Schmusi (Er nebenher ein Schöngeist, was Kunst und Kultur betrafen. Deshalb unterhielt ich mich sehr gern mit ihm über jene Themen. Denn in den zwei Kiezkneipen, wo sich unsre Wege oft kreuzten, waren solche Gesprächspartner immer sehr dünn gesät. Dafür hingen dort zuhauf dummschwätzende Gutmenschen und Linxwixer herum…), lernte aber von ihm die Näherei und stellte jahrzehntelang gigantische Abendroben für Frauen her.
– Die neue Maschine ging kurz hintereinander zweimal richtig im Arsch, war deshalb anschließend Wochenlang in Reparatur. Erst beim dritten Crash unternahmen sie etwas und wenn ich mich richtig erinnere, gab es dann eine neues Teil.
Irgendwann unterhielt ich mich mit einer Gästin in der Kneipe über Schneiderei, dabei kam heraus, dass die Herren eigentlich ihre Dauerleihgabe an mich verschenkt hatten. Erst ging sie leicht an die Decke, meinte aber dann, na ja, wenigstens ist sie auch wieder in guten Händen…