Martenstein über den Ton der Regierung in der Krise

Eisig und autoritär – so möchte man nicht mit sich reden lassen – TAGESSPIEGEL, 13. 12. 2020
Jeder begreift, dass in der Coronakrise Opfer nötig sind. Die Art und Weise, wie die Politik die Maßnahmen erklärt, findet unser Kolumnist aber irritierend.
Von den Alten, die an Covid-19 erkranken, sterben etwa zehn Prozent. Der Alleingang Großbritanniens bei der Zulassung des Impfstoffs, drei Wochen bevor die Europäische Arzneimittelbehörde ihn voraussichtlich zulassen wird, könnte also Tausenden alten Briten das Leben gerettet haben. In Großbritannien werden zurzeit 400 000 Angehörige der Generation 80plus geimpft. Auch Deutschland hätte aus dem EU-Verfahren ausscheren können – hat sich aber dagegen entschieden. Warum sind Boris Johnson und seine Leute schneller? Es gibt dort zum Beispiel eine tüchtige Beauftragte für Impfstoffbeschaffung, Kate Bingham, die unbürokratisch denkt und die Daten in einem anderen Verfahren prüfen lässt. Eine EU-Anhörung entfiel und die/Abstimmung mit den anderen Mitgliedsländern. In EU-Behörden scheint diese Geschwindigkeit nicht möglich zu sein. Obwohl es um Menschenleben geht. Nur Einschränkungen für Bürger sind rasch und unbürokratisch möglich. Dieser Matchball geht an die Brexiteers.
Kate Bingham verbreitet das, was die Leute in solchen Zeiten brauchen: strahlenden Optimismus. „Wir werden alle im Sommer in den Urlaub fahren können!“ Sogar die Alten.
Die britischen Medien haben den ersten Impftag zum „V-Day“ ernannt, das stand bisher für „Victory“ über Hitler, jetzt für „Vaccine“, Impfung. Die erste Geimpfte, 90-jährig, war eine Überlebende des deutschen Luftangriffs auf Coventry.
Die Stimmung in Deutschland weckt eher Erinnerungen an Stalingrad, wegen der Durchhalteparolen, der fehlenden Strategie und des schnarrenden Tons, der von oben nach unten dröhnt.
Grundschulkinder werden nach Hause geschickt, aber weil die Eltern arbeiten müssen, gibt es eine Hortbetreuung. Es ist also fast genau wie in der Klasse, bloß ohne Lehrer. Die Kanzlerin empfiehlt Kindern, falls sie in der Schule frieren, eine „kleine Kniebeuge oder man klatscht in die Hände“. Wie wär’s denn mit genügend Schnelltests?
Die Regierung hatte Monate Zeit, das zu organisieren. Michael Müller sagt zum Lockdown: „Es gibt keinen Grund, sich noch am 28.12. einen Pullover zu kaufen.“
Das Eisige, Autoritäre, Obrigkeitliche irritiert. Sind wir, das Wählervolk, etwa nicht mehr die Arbeitgeber dieser Leute? Scheint so. Helge Braun sagt gnädig: „Wer zur Arbeit muss – das verstehe ich.“ Danke sehr, man soll aber möglichst das Fahrrad nehmen. Im Januar ist das nicht immer einfach. Ieder begreift, dass Opfer nötig sind, die meisten sind bereit dazu, aber so möchte man nicht mit sich reden lassen, von Leuten, die erkennbar wenig Ahnung haben vom Leben. Das, was von oben dröhnt, erinnert mich an den berühmten Satz „Wenn die Leute kein Brot mehr haben, dann sollen sie halt Kuchen essen“.
 Aus WIKI: Fälschlich zugeschrieben!
“Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.” – das Zitat geht zurück auf Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse, Band VI. verfasst 1765–1770 und veröffentlicht 1782 (‘Brioche’ ist eine französische Backware, die dem deutschen Stuten ähnlich ist. Die Übersetzung mit ‘Kuchen’ ist also nicht ganz korrekt. Dennoch wird sie gerne genutzt, um den vermeintlich negativen Charakter der Marie Antoinette zu unterstreichen.)
(Original franz.: “S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche.”)
Allerdings hätte Harald hinzufügen sollen, wer jenen sehr lustigen Kuchenspruch mal abließ!
Natürlich weiß ich, um wen es sich bei Jean-Jacques Rousseau und Marie Antoinette handelte, aber…
Mit dem deutschen Stuten konnte ich natürlich nichts anfangen, denn der Begriff ist nämlich ein teildeutsches Idiom! Habe allerdings solche Brösel bereits mehrfach gemümmelt, sind aber nicht so mein Fall.
Wenn es so weiter geht, werden wir bald auf Martenstein verzichten müssen, denn zu unserem bisherigen Wochenend-Abo kommen die täglichen Zeitungskäufe noch hinzu. Wegen der wenigen brauchbaren Artikel im Blättchen, lohnt sich der Gang zum Pressdealer aber nicht mehr. Auf der anderen Seite nervt die Leserei vom Monitor doch ungemein.
Nach dem Aufatmen während der Kolumne, gab es dann auf den Seiten 2 und 3 gleich wieder einen Schlag aufs Gehäuse. Dafür genügten die riesigen Fotos von Kretschmann und Lindner, nebst den dazugehörigen Texten, auf die ich nicht weiter eingehen will!
Ach so, H. M´s Artikel hieß: Es dröhnt von oben
Dröhnen war in dem Zusammenhang wohl nicht die richtige Wortwahl, denn die Geräusche der implodierenden Worthülsen gleichen sich allemal, egal wer sie zum Platzen bringt und um welche Thematik es gerade geht. Ob da x-beliebige Pro- oder Kontra Argumente und ihre prompt folgenden Widersprüche abgelassen werden.
Mich erinnert da nichts an irgendein Gedröhn, sondern mehr an die Geräusche von staubtrockenen Fürzen die aber bis Himmel stinken…

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