In den Fängen einer kleinen Heuschrecke

Im letzten Jahr, am 9. Juli, erhielt ich von einem Bekannten jenen Artikel, kannte aber die Geschichte bereits, in vielen Einzelheiten vom Betroffenen geschildert. Was weiter draus wurde ist mir unbekannt, Herr W. bezog zwar eine neue Wohnung, ich habe aber seit mehreren Monaten nichts mehr über ihn vernommen.

Aus der Berliner Morgenpost vom 9. Juli 2007 – von Michael Mielke
Vermieter baut Zimmer um und löst wertvolle Wissenschafts-Sammlung auf
Der 69-jährige Erich Wirz wirkt heute noch fassungslos, wenn er vom 8. Juli 2005 erzählt. An diesem Tag fuhr der Archäologe nach langer, schwerer Krankheit zu seiner Drei-Zimmer-Wohnung in der Wilmersdorfer Trautenaustraße. “Ich sah schon von Weitem das Baugerüst”, erinnert er sich. Im Haus selbst waren nur noch fünf Wohnungen bewohnt. Seine eigene gab es nicht mehr: “Die Räume waren leer, alle meine Sachen verschwunden, Türen und Zwischenwände herausgerissen.” Kurz darauf begann ein Verfahren, das Wirz’ Anwalt Johann Heinrich Lüth als “ein Verdrehen des Rechtes” beschreibt und “einen Verstoß gegen Sitte und Anstand”.
Wirz benötigte einige Tage, um die Vorgänge zu klären. Er besaß seit März 1983 einen Mietvertrag und hatte den Mietzins regelmäßig an die Wohnungsverwaltung überwiesen. Im Oktober 2003 erwarb ein Bauträger das Hausgrundstück und informierte die Mieter darüber im Januar 2004. Davon erfuhr Wirz, der sich bei Verwandten in Trier (Rheinland-Pfalz) von drei Schlaganfällen erholte, zunächst nichts. Er hatte zwar in Berlin eine Bekannte gebeten, nach seiner Post zu schauen. Dem war die Frau, die nach Wedding verzogen war, aber unregelmäßig und in den letzten Monaten vor Räumung gar nicht mehr nachgekommen. Wirz hatte das damals nicht als Problem gesehen, “weil die meiste Post ohnehin direkt zu mir nach Trier geschickt worden war und meine Mietzahlungen ohne Beanstandungen entgegengenommen wurden”.
Ende November 2004 bekam er in Trier einen Anruf von der Betreuerin einer Nachbarin, die ihn über den neuen Eigentümer informierte. Wirz setzte sich mit ihm in Verbindung. “Mir wurde am Telefon versichert”, sagt er, “dass sich für mich lediglich der Empfänger der Miete ändere. Ansonsten bleibe alles beim Alten.”
Das war ein Irrtum. Trotz regelmäßiger Überweisungen wurden für die Monate Februar und März 2004 plötzlich Mietrückstände reklamiert. Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, kennt eine Reihe anderer Fälle, die an Wirz’ Schicksal erinnern. Langjährige Mieter, deren Wohnungen luxussaniert und anschließend teuer weiterverkauft werden sollen, würden mit dubiosen Methoden aus dem Vertrag gedrängt. “Da wird auch der Vorwurf konstruiert, Mieter seien ihren Mietpflichten nicht nachgekommen”, sagt Vetter. “Oder es werden Wasser oder Strom oder Gas abgetellt, um die Mieter rauszuekeln.”
Wirz’ Fall nahm nun einen geradezu grotesken Verlauf. Der Bauträger ließ dem Mieter im April 2004 ein Kündigungsschreiben zukommen, das eine Mitarbeiterin des Bauträgers bei Wirz’ Wohnung durch den Briefschlitz steckte. Und das, obwohl eine Nachbarin darüber informierte, dass Wirz sich schon längere Zeit nicht in Berlin aufhalte. Als Wirz nicht reagierte, informierte der Bauträger das Landeseinwohneramt darüber, dass Wirz unbekannt verzogen sei. Was ebenfalls zu hinterfragen wäre: Wirz hatte, wie vom Amtsgericht Charlottenburg später festgestellt wurde, seine Anschrift in Trier beim Zahlen der Miete auf den monatlichen Überweisungsträgern jedes Mal vermerkt.
Die Angaben des Bauträgers wurde vom Landeseinwohneramt – offenbar ungeprüft – übernommen. Dieses “unbekannt verzogen” und der Vorwurf vermeintlich offener Mietzahlungen war dann Grundlage für ein sogenanntes Versäumnisurteil des Amtsgerichts Charlottenburg gegen den ahnungslos in Trier weilenden Wirz. Und dieses Urteil wiederum war Basis für den Bauträger, die Wohnung räumen zu lassen.
Lüth sieht diesen Vorgang sehr kritisch: “Das Gericht hätte den überdeutlichen Hinweisen, dass der Mieter in der Trautenaustraße nicht mehr wohnt und eine Zustellung gar nicht möglich war, nachgehen müssen”, sagt er. “Dann hätte vielleicht das komplette Verfahren gar nicht stattgefunden.”
Der Anwalt legte im Juli 2005 Einspruch ein. Erfolgreich. Im September 2005 hob das Amtsgericht das eigene Versäumnisurteil auf – erklärte es also für ungültig. “Durch den Einspruch ist der Rechtsstreit in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor der Säumnis befand”, heißt es im Urteil. Das war eine sehr theoretische Feststellung – denn Wirz’ Wohnung existierte gar nicht mehr. Der Bauträger versuchte, diesen Entscheid mit einer Berufung anzufechten, musste sich jedoch vom Landgericht belehren lassen, dass sein Vorgehen von Anfang an rechtswidrig gewesen sei.
Für Wirz indes begannen ganz andere Probleme: Nicht nur seine Wohnung war zerstört, auch seine Bücher und wertvollen Sammlungen waren unter den Hammer gekommen. Was durchaus hätte verhindert werden können. “Als ich im Juli 2005 nach Berlin kam”, sagt er, “lagen Kartons und Kisten noch in der Pfandkammer.” Er habe dann versucht, sie herauszubekommen, habe sich in seiner Not sogar an Bundestagsabeordnete und an den Berliner Polizeipräsidenten gewandt – jedoch ohne Erfolg. Die Sachen wurden für rund 14 000 Euro zwangsversteigert. Das entsprach – vielleicht nicht ganz zufällig – den Kosten der Zwangsräumung. Auch hier sieht Anwalt Lüth einen groben Verstoß: “Die Gerichtsvollzieherin hätte die teilweise sehr kostbaren Sachen von einem Sachverständigen auf ihren Wert untersuchen lassen müssen”, sagt er. Stattdessen sei vorgegangen worden, als habe man die Wohnung eines Messies geräumt. Sein Mandant sei Wissenschaftler, Privatsammler und Mitbegründer eines Museumsvereins. “Was da verloren ging, ist ein Stück Lebenswerk.”
Für Wirz folgte eine geradezu abenteuerliche Jagd nach seinen Büchern und Sammlungen. Einen Teil fand er in Kreuzberg in einem Antiquariat. Dort konnte er von dem arabischstämmigen Ladeninhaber mehr als 200 Kisten seines “Räumungsgutes” für rund 35 000 Euro quasi zurückkaufen. Doch ein großer Teil fehlt noch immer. Darunter eine wertvolle Büchersammlung aus dem Privatbesitz der Erzherzogin Sophie von Österreich, 1830 entstandene Porträts der Familie von König Wilhelm III. und ein komplettes Biedermeier-Zimmer. Wirz schätzt den Gesamtwert “auf gut und gern mehrere Hunderttausend Euro”.
Verlust eines Lebenswerkes
Der Bauträger war später bereit, zumindest die bei der Zwangsversteigerung eingenommenen 14 000 Euro an Wirz auszuzahlen – nachdem Wirz ein Gerichtsverfahren eingeleitet hatte. Eine förmliche Entschuldigung gab es von den Inhabern der Firma bis heute nicht. Im Gegenteil. Bei einem Schadenersatzprozess im Juni dieses Jahres vor dem Amtsgericht Charlottenburg wurde versucht, Wirz als unglaubwürdig darzustellen und Zweifel an seiner Tätigkeit und dem Wert seines Inventars zu wecken. Der Wissenschaftler erreichte bei dem Prozess aber dennoch, dass der Bauträger an ihn noch einmal rund 15 000 Euro zu entrichten hat. Weitere Forderungen wurden in erster Instanz abgewiesen.
Das werten Wirz und der Bauträger als Teilerfolg. “Wir gehen nach wie vor davon aus, dass wir absolut korrekt gehandelt haben”, sagt der Geschäftsführer des Bauträgers. Dennoch finde er es bedauerlich, wie die Sache gelaufen sei. “Das war eine Verkettung unglücklicher Umstände.” Deshalb sei man bereit gewesen, Schadenersatz zu leisten, und wolle auch das zweite Urteil anerkennen.
Wirz reicht das nicht aus. Er will gegen das Urteil in Berufung gehen und weitere Forderungen durchsetzen. Schon aus Prinzip, sagt er. “Aber viel besser wäre es, wenn ich einfach nur meine Sachen zurückbekäme.”

Dabei schien Herrn Wirz das Glück hold, wurde doch in den 80er/90ern, ein paar hundert Meter weiter, mit ganz anderen Bandagen gewerkelt und da könnte ich aus eigenen Erfahrungen über das Spekulantenpack berichten…

Ein Gedanke zu „In den Fängen einer kleinen Heuschrecke

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