Gestern suchte ich etwas aus meinem Archiv und fand es natürlich nicht, denn auch der analoge Müll wächst mir seit Jahren bereits über den Kopf. Für meine Wenigkeit sind Container und Sperrmüllhaufen richtige Wundertüten. Manch einer verdiente mit seinen Fundstücken schon richtig Kohle, bei mir landet sie in irgendwelchen Regalen, eigentlich ist dieses Zeug dann auch wieder weg.
Meine Gattin nennt diese Sammelleidenschaft einfach nur Messie-Syndrom. Was eigentlich nicht stimmt, obwohl nebenher eine gepflegte Unordnung entsteht – aber (fast) nur in meinem Bereich.
Was im Keller passiert interessiert sie nicht, wobei zur letzten Wohnung noch zwei Keller gehören, in denen sich immer noch ein Haufen Fundstücke befinden.
Was ich nun gestern suchte, blieb verschollen, aber einige, lang vermisste Collagen tauchten wundersamerweise wieder auf, aber auch nur ein Bruchteil davon.
Zu den A3 großen „Gunstwerken“ noch einige Sätze.
– Muss aber vorher noch etwas zu bedenken geben!
Auch in dieser Republik wird teilweise Alltagskunst fabriziert, die keinen Deut besser ist, als der Scheiß, den sie in der Zone „Sozialistischen Realismus“ nannten!
Anfang der 90-er fuhren Decker, Knofo und ich im Späthippielook nach Wünsdorf und wollten der ehemaligen Anlage des OKWs, späterer Sitz des Oberkommandos der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, eine Besuch abstatten und dort photographieren.
An der Wache bestanden wir darauf, den Kommandanten zusprechen. Was so eigentlich nicht ging. Auf Grund des Einwandes, dass wir hier ausharren wollten, bis wir eine Besichtigung vornehmen durften, geleitete uns ein Major in das Besucherzimmer.
Nach ca. 45 Minuten erschienen zwei Offiziere und ein Zivilist – sicher der V-Nuller (Verbindungsoffizier zur Staatsicherheit).
Die Russen natürlich ratlos, da sie nicht verstehen konnten, dass wir rein privat die Anlage betreten wollten, schließlich wurde nach einem längeren Telefongespräch die Führung begonnen, zuvor aber unsere Daten genauestens notiert.
Vor der Schule hatte sogar ein gemischter Kinderchor Aufstellung genommen, der mehrstimmig russische Volkslieder trällerte.
Was nicht nur mich sehr wunderte, alles war blitzblank und ein Haufen junger Soldaten pinselten ganz akkurat sämtliche Bordsteine.
Zwei Stunden ging es kreuz und quer durch dieses riesige Kasernenareal. Währen der ganzen Zeit richtete der Zivilist kein einziges Wort an seine merkwürdigen Besucher, verabschiedete uns aber am Tor in fast akzentfreiem Deutsch.
Abends las ich im Tagesspitzel, dass sich für den kommenden Tag Verteidigungsminister Stoltenberg in Wünsdorf angesagt hatte.
War zum Piepen, die haben uns bestimmt als getarnte Vorhut von irgendeinem bundesgermanischen Geheimdienst gehalten.
Ab dem Tag begab ich mich öfters in jene Gefilde, so auch in Bernau, durch einen zerschnittenen Maschendrahtzaun, in der Annahme dort sei keiner mehr auf dem Gelände.
Wunderte mich aber dann doch, in einer etwas größeren Halle noch intakte LKWs vorzufinden, nebst einer beleuchteten Ecke, die als Unterrichtsraum für Fahrschüler angelegt war. Schaffte ein Haufen Beutestücke zum Auto, darunter drei Kästen von ungefähr 60X30X10 Zentimetern, in denen sich zusammengerollt, eine bedruckte Wachstuchunterlage mit innerstädtischen Straßenverläufen, Verkehrszeichen und Plastikautos befanden. Kam zurück, rollte einen Haufen Propagandamaterial zusammen und verschwand wieder.
Beim wiederholten betreten des Raumes, stand mir plötzlich ein blutjunger Rotarsch gegenüber, der unter seinem Käppi noch eine fleischfarbene Badekappe trug. Leicht verdutzt begrüßten wir uns, dazu reichte mein Russisch und er begann zu strahlen wie ein Honigkuchenpferd.
Dem folgte ein kleiner Rundgang im unmittelbaren Bereich.
Abschließen gab mir der Soldat zu verstehen, dass ich mal kurz auf ihn warten solle. Ob der dir jetzt doch noch ein Kuckucksei legen will?
Hakte diesen Gedankengang aber sofort wieder ab, der Junge besaß so eine erfrischende offene Art, dass es nicht sein konnte.
Nach wenigen Minuten tauchte er wieder auf und drückte mir vier Posters (A3) in die Hand.
Im Gegenzug faltete ich einen Spandaudollar zusammen, fächerte ihn leicht auf und drapierte ihn, ähnlich eines Kavaliertaschentuches hinter seinem größten Abzeichen.
Während ich meine Plakate zusammenrollte, faltete er andächtig den kleinen Schein auseinander, es hätte nicht viel gefehlt und bei ihm währen Tränen gekullert…
Aus meiner Truppenzeit (1967/68) war mir noch in Erinnerung, dass diese uniformierten Jungkommunisten wie Viecher gehalten wurden…
– Alle anderen Posters stammen aus Containern des „Militärverlages“, Storkowerstrasse in Ostberlin.
– Massenweise habe ich mit Freunden, Anfang der 90er auf Ost-Gebiet, die Reste 40 jähriger Identifikation aus Containern gezogen und von Müllplätzen gesammelt. Dabei kam die Vermutung hoch, je “staatstragender” sich gewisse Institutionen früher gaben, desto mehr waren sie hinterher bestrebt, alles einer korrekten Vernichtung anheimfallen zu lassen.
Ein Freund kam in Leipzig dazu, wie merkwürdig dreinblickende Leute – sicher ehemalige Berufsjugendliche – Tausende Schallplatten vernichteten. Sie fuhren mit Messern und angespitzten Schraubendrehern über Cover und Platte. Nach langer Diskussion konnte er ihnen vier LPs aus dem Kreuz leiern.
Sehr rührig verhielten sich auch die Genossen vom „Militärverlag“. Da hatten sie jahrelang versucht, mit ihren Publikationen die Hirne ganzer Generationen zu verkleistern und anschließend schien ihnen die Angelegenheit wohl peinlich zu sein.
Zuerst versuchten sie uns, von den Containern zu verscheuchen. War schon witzig, wie wir die großen Macher auflaufen ließen und sie sich, wie geprügelte Hunde verkrümelten. Tage später starteten sie Gegenaktionen.
Wir fanden die Ränder der großen Container mit stinkendem Fett bestrichen. Tags darauf hatten sie Altöl zwischen die Materialien geschüttet, dies ging ja noch. Sehr gelungen fanden wir dann die Idee, alles mit Kopierflüssigkeit einzusauen.
Dafür gaben wir ihnen einige hundert Bienchen*, denn dieses Tintenzeug haftete tagelang an den Händen und aus den Klamotten ging es überhaupt nicht mehr raus.
Vielleicht wurden ja diese pfiffigen Burschen noch mit einem Blick zur Sonne* ausgezeichnet, wir hätten es ihnen gegönnt.
*Bienchen – sie wurden auf Kärtchen gemalt, in den fünfziger Jahren in den Grundschulen für hervorragende Ordnung, Fleiß und Betragen den Schülern an der Klassenwandzeitung verliehen. Während der wöchentlichen Pioniernachmittage die gehorteten Immen dann in andere Symbole umgemünzt. Der beste Schüler erhielt nach dem Oktober 1957 den Sputnik mit einem riesigen Sowjetstern verziert, der schlechteste bei einer Klassenlehrerin eine Schnecke, bei einem Lehrer das Schlusslicht vom Güterzug.
*Blick zur Sonne – ugs. Darunter verstand man bei der Asche (Nationale Volksarmee) eine Belobigung vor versammelter Meute mit einem Handschlag, worauf der Delinquent auch noch peinlicher Weise sehr laut mit, “Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik!” antworten musste.
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