SANGERHAUSEN – Die Fortsetzung vom 29. VII. – Geschichte Nr. 2

Als mir Nils vor Jahren berichtete, wo er als Kind aufwuchs, fiel mir sofort diese Geschichte ein.
In besagtem Haus wohnte damals ein lustiges Kerlchen, der sich Ekel erregend als „Schulmeister” versuchen durfte und nicht nur ich hasste ihn.
– Vor Nachahmung jenes Racheaktes möchte ich aber dringend abraten.
Zu dieser und ähnlichen Taten, stiftete uns ein Bauer an, der alter Bielig. Mein Freund Datsch und ich hockten an sonnigen Nachmittagen oft in seinem Garten am Stadtrand, wobei er immer wieder Räuberpistolen erzählte. Kommunisten und Neureiche hatte es ihm besonders angetan. In uns fand er willige Helfer. Kam es zur Ausführung solcher Missetaten, bei denen er uns mit Rat und Tat unterstützte, mussten wir anschließend haargenau berichten. Regelmäßig gab es dann eine Belohnung und wir könnten uns an seinem Obst und Gemüse schadlos halten.
Lieber war uns natürlich Kleingeld, dies rückte er aber nur für besonders gelungene Kuckuckseier raus.
Wenn der Landwirt anschließend brüllend lachte, der ganze Körper bebte, er mit den Pranken beide Schenkel bearbeite, schließlich seine Wampe hielt, war klar – jetzt kam der Griff in das Uhrentäschchen. Für 20 Pfennige gab es mehrere große saure Gurken aus dem Fass oder ein Haufen frisches Sauerkraut. Besonders standen wir auf Lindenblätterbonbons mit Waldmeistergeschmack, vom Konsum, der sich in seinem Wohnhaus befand.
Bei einer Schilderung flippte der Mann so aus, da ging nebenher das Mundstück von seinem ollen Knösel zu Bruch, in dem er ewig die Reste seiner stinkenden Zigarren quarzte.
Sehr ungehalten wurde unser Rädelsführer, weil  wir hoch und heilig gegabelt hatten, aber auf Grund bestimmter Skrupel, es mit der Ausführung haperte. So auch in diesem Fall, schließlich gab es in der Zone einen Kaugummiparagraphen der bis zum Exzess ausgeknautscht wurde – „Rowdytum” – was auch 12-jährigen schon bekannt war.
Tagelang quatschten alle über die Planung, unsere Skrupel wechselten ewig, denn ging dabei etwas schief, endeten wir im „Spezialheim”.
Mehrfach wurde Anlauf genommen, immer einen Dederonbeutel mit unserem Equipment dabei, ein Schraubglas mit Würstchen aus dem Plumsklo, mehrere Zeitungen (sicher die „Freiheit“) und ein Parfümfläschchen mit Spiritus, stoppten dabei trotzdem immer die zu benötigende Zeit mit Hilfe des Zifferblatts von St. Ulrich.
Endlich schworen wir gegenseitig, es an einem bestimmten Tag hinter uns zubringen, egal was passieren sollte.
Um einen Testruf abzulassen, ob der Pädagoche zu Hause war, gings in die Stadt runter. Die nächstliegende Telefonzelle sollte deshalb nicht benutzt werden, weil es auffiel, wenn Halbwüchsige am frühen Abend das Teil betraten. Denn die gesamte Nachbarschaft beäugte misstrauisch das gelbe Häuschen, weil „Rowdies”* ewig aus den Hörern das Innenleben klauten. Außerdem befanden sich in unmittelbarer Nähe mehrere Geschäfte, der Konsum, ein Bäcker und ein Kolonialwarenladen, in dem auch weit nach Geschäftsschluss noch Alkis im Verkaufsraum lungerten und urplötzlich auftauchen konnten.
Mitgefangen, mitgehangen. Eigentlich war es egal wer was machte, trotzdem hatte wir geknobelt und mir fiel leider der schwierigere Teil unserer Ausführung zu. Derweil Datsch unterhalb der Treppe, sie wurde von einer hohen Buchsbaumhecke gesäumt, die Straße ableuchtete, begann ich vor der Eingangstür mein schändliches Treiben. Alles ging in einer affenartigen Geschwindigkeit von statten, trotz des aufwallenden Muffensausens.
Auf den Gitterrost vom Fußabtreter kam eine Zeitung, darauf die Scheiße aus dem Glas. Dann zerknüllte ich mehre Zeitungsblätter und drapierte sie über dem Häufchen. Bespritzte das Papier mit etwas Spirtus, zündete alles an, klingelte kurz Sturm und sprang die Treppe hinab. Scharfen Schrittes ging es unten rechts, vielleicht 20 Meter auf dem Gehsteig entlang,dann überquerten wir die Straße und schlenderten auf den anderen Seite zurück, dabei unauffällig den Eingang im Auge behaltend.
Kam von da ein Gekreische, als der Pauker mit seinen Filzpantoffeln die Flammen austrampelte…

*Rowdy – war im Zonensprachgebrauch der 50er/60er Jahre, der einzige Begriff aus dem absolut verpönten anglo-amerikanischen Wortschatz, der auch den größten Partei-Blindenscheffs in der Provinz ganz leicht über die Zunge flutschte. Allerdings in Sachsen-Anhalt und weiter südlich sehr witzig klang. Bin mir aber nicht sicher, ob ihn auch jede rote Flachzangen schreiben konnte.

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