Wenn jemand eine Reise tutet

Es ging in die kalte Heimat, aber…
Zug rausgesucht und dann begann der alltägliche Unbill, weil ich mir so dachte, dass es auf irgendeinen der infrage kommenden Bahnhöfe so etwas wie eine Post gibt. Wollte nämlich ein paar Kröten auf dem Konto versenken. Das Netz wurde bemüht, dann kam mir, ganz blöde kannst du ja nicht sein, wenn dort keine Postschalter existiert, dann entspricht dies lediglich den Serviceleistungen dieses Vereins. Wo kämen wir eigentlich hin, wenn sich jeder Kunde auch noch als König aufspielen würde und dies in UNSERER Bananenrepublik.
Also, viele Wege führen in irgendeine andere Postfiliale, kannst ja über das Nachbargrundstück zum dortigen Postamt gehen und nimmst statt U-Bahn, den 249er Bus zum Zoo.
Halb 11 und eine Schlange bis zu den äußeren Treppenstufen.
An den ersten sechs Leuten ging es problemlos vorbei, zwischen der geöffneten zweiten Schiebetür holte sich der dort stehende Verbalwixer einen runter. Was mir kurz das Ohr streifte und bei seinem Outfit und Benehmen, sicher ein Klassenkampf erprobter Körnerfresser, in Richtung Anwalt oder Pädagoche, in der Preislage eines arrivierten Proletenablegers mit schlechter Kinderstube…
„Entschuldigung, ich würde gern vorbei gehen“, der drehte sich halb um, glotzte mich darauf an wie eine Kuh, trat aber nicht etwas beiseite, sondern quatschte nun sehr viel lauter weiter.
Nach wiederholt vorgebrachten Bitte, abermaliges umdrehen, verbunden mit einem strafenden Blick, einen halben Schritt nach der Seite und den Oberkörper etwas weg gebeugt.
Dachte mir so, lässt die von jener kosmischen Flachzange den Tag nicht versauen, drückst dich aber trotzdem an ihm vorbei. Mit Rucksack und größerer Umhängetasche beladen, wurde er so heftig touchiert, dass ihm fast seine Kommunikationsprothese entglitt.
Seinen ungehaltenen Kommentar glitt an mir ab: „Auch du Arschloch kannst dich genauso wie wir anstellen!“
Warum anstellen, wenn ich seitlich zum Automaten musste…
Karte eingeschoben, der Mattscheibe machte mich stumm darauf aufmerksam, dass keine Einzahlungen möglich wären – Grrrrrrrrrr
Na gut, gehst erst einmal zu Sultan und trinkst einen Milchkaffee, währenddessen düste auf der anderen Seite mein Bus ab. Da sie im 10minütigen Abstand fuhren, natürlich kein Problem.
In dem Moment tauchte ihr Bruder auf, beim Rauchen ergab sich die anschließende Möglichkeit eines Liftes mit ihm zum Bahnhof Zoo.
Nach dem Lichtblick kam es wieder etwas dicker.
In der Servicekiste der DB, an dem vielleicht 12 Meter langen Tresen, sind eigentlich fünf Plätze für das Lohngesindel vorgesehen. Vier waren besetzt, wobei nach 15 Minuten, eine Frau sich verkrümelte, vielleicht wegen der Mittagspause. Zwischendurch tauchte ein dicker Graukopf mehrfach auf, schaut kurz und sehr gewichtig in die Runde, mit einem Blick, als ob er 100 Meter Dummgucken trainierte.
Wieso setzte sich dieser Patient nicht an einen der beiden freien Arbeitsplätze?
Vor mir immer noch sieben arme Schweine, die sich auch verarzten lassen wollen. Dann ist das dicke Grauchen wieder da, bedeutsam um sich schauend platzte er sich, fummelte kurz am PC herum und verschwand wieder. Es stellte sich heraus, von den sieben Leuten vor mir, waren Gott sei Dank zwei Pärchen.
Endlich kam ich dran, die DB-Tante schaute mich merkwürdig an, als von mir kam, „ich möchte keine Gesprächstherapie, sondern nur eine Fahrkarte!“
Gab mein Reiseziel kund, welches sie natürlich nicht fand, weil sie laufend vor sich hin plapperte: Sangershausen. Den Ort finde ich nicht! „Klar, ich wollte ja auch nach Sangerhausen!“
Weiß der Deibel, weshalb die Leute ewig dieses „S“ einschieben.
„Aha, kostet 22 Euro!“
Nun hatte mir meine Scheffin gesagt, es würde billiger werden wenn ich eine olle ABC-Karte stempelte, denn ab der C-Grenze würde der neue Fahrpreis gelten.
„Nix, egal, ob sie von Hauptbahnhof, Zoo oder Wannsee abfahren wollen, es handelte sich um einen Sonderpreis und der beträgt 22 Euro. Da sie aber eine ABC-Karte haben, zahlen sie ab Werder, allerdings auch 22 Euro!“ Und ich Idiot schaltete nicht, hätte nämlich die 3.40 sparen können, bei einem Start am Bahnhof Zoo…
Im Zug war genügend Platz, allerdings gab es bis Magdeburg Sauwetter.
Dann der Lichtblick – kurz vor dem Bahnhof klärte sich alles auf und meinen Würstchenstand gab es auch immer noch…
In der Ferkelbahn ging es weiter. Oh je, fährt man teilweise durch rottige und abgehangene Teilstücke, von Industrie und sowie-noch durch.
Mich entschädigten dafür die ganze Zeit mächtige Wolkenformationen, allerdings ebenerdig kamen nun überall kleine und größere Wackersteinhügel hinzu. Die teilweise Jahrhunderte alte Hinterlassenschaft aus der geschändeten Erde, als man dort nach Silber, Blei und Kupfer suchte…
Bin schon mehrere Jahrzehnte nicht mehr durch das Mansfeller Land gedüst. Heute empfand ich es als Sternstunde, runde 90 Minuten, sich allerdings nur die Flora vollkommen beschaulich präsentierte, wenn einzelne Sonnenstrahlen das bunte Herbstlaub koitierten, wobei dann sämtliches Blattwerk orgiastisch aufglühte.
Dies änderte sich nach Verlassen des Blankenheimer Tunnels sofort, über der beginnenden Goldenen Aue hing eine fast geschlossenen dunkle Wolkendecke und es begann zu nieseln.
Trotzdem unternahm ich noch einen kleinen Rundmarsch. Beim Blick in die Sangerhäuser Hauptstraße kamen mir sogar drei Mumien entgegen, da waren es 10 Minuten nach 17 Uhr…
Am nächsten Tag, 10 Uhr 40, mit Blick in die entgegengesetzte Richtung, auch alles leergefegt!
Zumindest tauchten in der berühmten KLEMME, wo jene Zeilen entstanden, im Laufe der anderthalb Stunden mehrere Leutchen auf.
Anfang der 1980er kamen mir folgende Sätze in den Sinn:
Irgend jemand verglich mal seine Heimatstadt mit dem Zentralfriedhof von Chicago und stellte dabei fest, dass sein Wohnort zwar halb so groß wie der Friedhof von Chicago sei, aber dafür doppelt so tot. Dies traf für das Nest, in dem ich geboren wurde und den größten Teil meiner Jugend verbrachte, weiß Gott nicht zu, denn nur doppelt so tot, würde die Situation, wie ich sie erlebte, nur beschönigen, oder besser gesagt, es wäre sogar eine Aufwertung für diesen Marktflecken…
Vierzig Jahre später muss meine damalige Ansicht unbedingt revidiert werden! Im Gegensatz zur heutigen Zeit, handelte es sich doch um ein recht quirliges Städtchen. Kann aber sein, da die Laufmaschen an meinem Synapsen auch immer zahlreicher werden, entsteht deshalb vielleicht jener verklärte Eindruck, welcher in der Vergangenheit herum wabert…
Wollte eigentlich jeden Tag etwas verzapfen, ließ es dann aber sein, trotz meiner Bewunderung für den einen oder anderen Freund und den vielen Bekannten, welche in der kurzen Zeit meine dortigen Wege kreuzten, weil sie es dort aushalten müssen…
Ein sehr positive Begegnung soll aber hier erwähnt werden, es betraf das Standesamt. Es wurde von mir aufgesucht, da ich wissen wollte, ob mein Lesterschwein noch oberhalb der Grasnarbe mäandert. Dort begegneten mir zwei sympathische junge Damen, die mich sehr kompetent abfertigten. Alles verbunden mit einer nostalgisch anmutenden Freundlichkeit, ohne dem Zeitgeist entsprechender genderfaschistoiden politischen Korrektheit!
Fast vergessen, das Klassentreffen fanden wir auch OK.
Abgesehen davon, muss der Leber wieder etwas Zeit zur Regenerierung gegeben werden…

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