Morgen ist Herbstanfang und früher begann an diesem Tag das “richtige” Drachenwetter

Ehe ich zum Schluss wieder beim Reichstag lande, muss ich sehr weit ausholen.
Diese Begebenheiten beginnen Anfang der 80er im letzten Jahrhundert, in eben der heutigen Jahreszeit. Es nervte mich, dass meine Freundin ewig irgendwelche Karstadtgeier anbrachte und diese Teile überlebten meistens den Nachmittag auf dem Teufelsberg nicht…

– Als großer Drachenfan schon in Kindheitstagen, September 1957 bastelten wir gemeinsam mit dem Vater meines Freundes Datsch, unseren ersten Drachen aus Pergamentpapier. Alles wurde mit einem Gesicht versehen und das Ding flog auch. Einen Monat später baute ich mir das erste Teil selber und wollte in der Perspektive Kosmonaut werden, da ab jenen Tagen der Sputnik oben kreiste…
Schon ein Jahr später nähte ich, unter Omas Obhut, die Bespannung für den Eddy aus Fahnentuch. Jetzt brachen eventuell nur noch die Leisten, der Nachteil von diesem Ding, er benötigte zum Fliegen mindestens 5 Windstärken. Bei den folgenden Modellen, immer größer werdende Kastendrachen, gab es anders gelagerte Probleme. Alles wuchs nebenbei mit, die Fähren, mit der auch größere Segelflieger und Fallschirme abgeworfen wurden, außerdem musste immer stärkere Schnur organisiert werden. Nebenbei hatte wir schon die Schnauze voll, da mit gepechten Sisal- oder Hanfseil geflogen wurde. Aus Ermangelung vernünftiger Handschuhe, hieß es anschließend immer, die Vorderläufe mit Nitroverdünnung oder Trichloräthylen zu reinigen.
Kurzzeitig benutzten wir in flüssigem Wachs imprägnierte Schnur, bis Hagen uns eine riesige Garnrolle aus Kunstfasern besorgte, 1000 Meter und bestimmt 10 kg schwer. Damit bestückten sie in der Kolchose einen neuartigen Mähbinder in der Testphase…

– Mittlerweile hatte keine 100 Meter von meiner WG, in Schöneberg, der 1. Drachenladen Berlins eröffnet. Lernte dort die beiden Eigner kennen, Michael Steltzer und Chris Sandy, skizzierte einen Delta, kaufte die entsprechenden Materialien, nebst einer Fähre und nähte das Teil. Nun wurden noch geschlechtsspezifisch zwei Fallschirme bestückt, mit Barbiepuppe und Teddybär, meistens ging es dann zum Teufelsberg…
Auf diesem Bauschutthügel traf man auf Leute, die sich keinen Kopf machten, was ihre postpubertären Phasen betrafen. Nebenbei zog ich mit einigen zu den anstehenden Drachenfesten durch Europa…
– Ab hier gelange ich an einen Punkt, wo bei den folgenden Schilderungen sicher einige aufstöhnen werden, schon wegen der partiellen Wahrnehmungen, allerdings liegt es mir auch sehr fern, irgendwelche Legenden zu zerstören…
Jedenfalls entwickelte man so seinen ganz spezifischen Tick, der absolut nichts mehr mit diesem Kinderspielzeug aus vergangenen Zeiten zu tun hatte.

Will zu den Ablichtungen noch etwas ablassen!
An einer Tischreihe hockten mehrere Funktionäre aus dem Distrikt, hinter ihnen standen ordentlich aufgereiht viele Frauen. Ein junger Mann rezitierte und anschließend sangen die Kinder den eben vorgetra­genen Text, der anschließend übersetzt wurde.
Die selbstgefälligen Bonzen, ihre stolz-glasigen Blicke nebst der überlangen Fingernägel einiger dort sitzender, brachten mich in Rage. Holte in der Situation mein Pustefix hervor. Bei der ersten Ladung gab es fast keine Reaktion bei der Kids, aber dann…
Aus gerechnet dem kleinsten Buben, er war bebrillt und schaute sehr aufgeweckt umher, näherte sich eine Blase, kurz vor seinem Gesicht wurde das schwebende Objekt von ihm weg gepustet. Als er nun mit etwas mehr Luft weiter blies zerplatzte das Teil, von dem Moment an grapschten alle nach den Flugobjekten.
Die Erzieherin, entsprechend pädagochisch vorbelastet, fing an in höchsten Tönen zu kreischen, wurde aber von einem Funktionär sofort beruhigt. Da stand ich dann auf und legte los, plötzlich lachten alle. Anschließend bekam die Tante das kleine Seifenblasenutensil von mir geschenkt, was sie aber trotzdem nicht richtig beruhigte…
Meinen Slogen wollte niemand in Rot-China in deren Lettern kalligraphieren Parteiabzeiche für alle Kite-Flyers

 

 

 

Auf den Wochenmärkten registrierten wir oftmals Schreiber, die ihre Kalligraphie-Künste auf hand­geschöpftem Papier anpriesen.
Unsere Leute ließen sich alle irgendwelche sehr sinnigen Sätze kreieren, z. B.: Das unendlich Loch im Himmel oder Der reitende Drachen unter den Wolken u. ä.
>Mehrfach wollte ich mein Buttonspruch verewigen lassen, aber Fuck the Sky, konnte kein Dolmet­scher übersetzen!
Interessant waren immer die entsprechende Handlungen mit den Schriftkundigen…
Dafür näherte sich der Dolmetscher dem Meister erst, bis er mit einem Blick dazu aufgefordert wurde, sein Begehren vorzutragen. Er nannte den Spruch, worauf der anwesende Schüler mit lang­atmigen Gehabe die Frage stellte, welche Größe jenes Bildnis haben soll. Entsprechend drapierte der Knabe das Papier vor seinem Meister, der weiterhin mit stoischer Ruhe in sich geht. Nun in vollständiger Ruhe, lässt er sich irgendwann das vorgesehene Malutensil reichen, macht aber noch vorher einige kurze gymnastisch aussehenden Bewegungen mit der Hand, packt dann das Schreib­gerät mit seiner Faust, die Borsten weisen dabei nach unten, taucht es ganz vorsichtig in die gewoll­te Farbe und beginnt in einer affenartigen Geschwindigkeit die Lettern zu kalligraphieren. Sein Ge­hilfe nimmt anschließend den Pinsel an sich und beginnt ihn sofort ganz vorsichtig zu reinigen.
Der Schefff streut aus einem überdimensionierten Salzstreuer sehr feinen Staub auf die noch feuchte Schrift und geht dann wieder ein Weilchen in sich…
Abschließend nimmt der Knecht das Papier, schüttelte es vorsichtig aus und pustet die verbliebenen Brösel hinweg.
Dann erfolgt noch das Zusammenrolle des Werkes, die kunstvollen Verpackung, nebst einer facet­tenreichen Verabschiedung.
Alles verbunden mit endlosen Segenswünschen und der unauffälligen Übergabe des ausgehandelte Lohnes…

Rasend schnell entwickelte sich in jenen Jahren eine Freizeitindustrie, wo viele begannen, Statussymbole an die Wolken zu nageln. Hightech war irgendwann angesagt, Flugobjekte aus ultaraleichten und hochfesten Materialien zerschnitten auf einmal lautstark die Lüfte.
Was zu Auswirkungen auf allen Drachenfesten führte. Nur noch Teilnehmer der entsprechenden Klubs wurden aus versicherungstechnischen Erwägungen in die abgesperrten Areale vorgelassen. Klar, wem so eine NASA-gestylte Mülltüte aus CarbonFiber und Ripstop-Nylon mit 150 Sachen an die Glocke knallte, musste sich unter Umständen keinen Kopf mehr um sein weiteres Leben machen.
Die Nachfrage zwecks Werbung anlässlich eines Drachenfestes auf der Buga, 1985, ließ mich schwach werden – Pecunia non olet – sollte allerdings die dafür vorgesehene Knete erst nach Lieferung von 12 Dias nebst Text erhalten.
Als die Zusage kam, dass ich in einer kleinen Bude sämtlich Steckverbinder fräsen und drehen konnte, lief alles an. Besorgte mir daraufhin das entsprechende Material und legte los. Letztendlich beliefen sich die Kosten auf rund 500 DM + 30 Arbeitsstunden, 800 Eier waren es dem entsprechenden Werbemenschen wert, die Kohle wurde einer Kaffeekasse entnommen…
Und der Sozialneid blühte an jenem schönen Tag, zumal es nicht besonders windete, aber meine Mülltüte schon bei einer halben Windstärke wie ein Sektkorken abging.
Eigentlich war mir nie nach einem Drachen dieser Preislage. Das Angebot aus der Spardose entpuppte sich Geschenk des Himmels. Denn für mein späteres Vorhaben benötigte ich dieses große Format und orientierte mich deshalb an einer Thaischlange.

 

 

 

 

 

 

Als Motiv verfremdete ich farbig und seitenverkehrt den Apokalyptischen Reiter von Geoge Grosz, denn frische Luft ist etwas mehr, als nur ein Medium zum Kiteflying.
Jenes Motiv von dem musizierenden Tod habe ich von Alfred Rethel geklaut und neuzeitlich modifiziert!
Mike Minehan erwischte mich irgendwann mal vor dem Reichstag, photographierte meine Schlange und brachte das Bild sogar im Tagesspiegel unter. Sein Kommentar war allerdings leicht übertrieben, er lautete ungefähr so: Ein Berliner Drachenfreund baut riesige Kites und bemalt sie mit Motiven von George Grosz

– 1987 dräute am Horizont, die Kleingeister von beiden Berliner Halbstädten versuchten sich zu überbieten, was die 750-Jahrfeiern angingen und Mike wollte das größte Drachenfest Berlins zelebrieren, auf dem Gelände des Teufelsberges – aber die Auflagen!
Und wo er sich mal drin verkeilte, da ließ er nicht mehr los.
Als musste erstens ein Verein her! Dafür wurde sich im Frühjahr ’86 in einer Ätzkneipe getroffen, dem „Phillis“ in der Pohlstrasse. Als „Kumpelnest“-Gänger mochte man solche Yuppi-Löcher natürlich nicht, deshalb kam ich schon leicht abgenervt dort an.
Was die Namensvorschläge betrafen, ebenso deren Interpretationen angingen, entsprach die Situation einem antiautoritären Kinderladen mit beknackten Gutmensch-Gören.
(Zu eben dieser Zeit lief im Südwesten der Republik ein Prozess, weil ein Marktflecken seinen Sportverein Motor oder Dynamo nennen wollte, dies musste unbedingt verboten werden.)
Deshalb mein Vorschlag, den zu gründenden Verein AERO(mit Bindestrich)FLOT zu taufen.
So als Gegenstück zum Musterländle, denn die Presse würde nebenher mächtig Werbung für Mikes Drachenladen veranstalten.
Von Bernhard kam noch: FLOTT, mit doppelten T, alles schien gelaufen.
Später nahm keine Sau Notiz von dieser Namensgebung, so unspektakulär verlief es damals in Berlin…

Drachen usw.

Weiter geht es hier:  XXIII. IX. MMX – HERBSTANFANG

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