Angeblich konnte man sich nicht einigen, auf welchen der vielen Westberliner Trümmerberge nun das Drachenfest stattfinden sollte. Die Gerüchteküche brodelte mächtig, endlich war es raus, das Drachenfest zur 750-Jahrfeier sollte vor dem Reichstag stattfinden.
Einhellige Meinung der Szene, wir boykottieren dieses Vorhaben. Wat sollte der Scheiß, vor dem Reichstag gab es die denkbar ungünstigsten Windverhältnisse im innerstädtischen Bereich. Bei Ostwind war es nur an den Rändern der Wiese möglich einen Drachen nach oben zu bekommen und man musste sofort mindestens 70/80 Meter Schnur geben, um aus den Turbulenzen des Reichstages zu kommen. Lenkdrachen ließen sich in dieser Situation überhaupt nicht fliegen, ebenso bekamen kleine Mülltüten schon bei unstetiger Nord- oder Südbrise mächtige Probleme, wegen der Bäume an den Rändern.
Mir war der Standort egal, da ich an besagtem Wochenende sowieso im Rheinischen hängen wollte.
Dann sagte sich aber Stefan und seine Freundin an…
Mittlerweile war bekanntgegeben worden, das Windfest sollte unter einem Thema laufen: „Lasst den Reichstag fliegen!“
O.K. – Ich werde ihn fliegen lassen, allerdings zum samstäglichen Nachtfliegen auch nochmal abbunsen, van der Lubbe ließ grüßen.
Mittwoch besorgte ich das Material bei Mike, der sich auch sehr freute, ob meines Sinneswandels, na warts ab. Lässt dich als Hardcore Sympathisant der AL und Männergruppensoftie von Uns-Diepchen über den Tisch ziehen, sollst sehen was du davon hast…
– Anlässlich des denkwürdigen Tages wollte der Drachenscheff ein riesiges Event auf dem Teufelsberg starten und gab ganz nebenbei seiner Eitelkeit mächtig Futter. Statt für jenes Wochenenden die Genehmigung für ca. tausend Gaffer und Aktive einzuholen, gab er eine exorbitant hohe Zahl von zu erwartenden Besucher an. Die bei den entsprechenden Witterungsverhältnissen auch erschienen wären – aber!
Daraufhin hätte er wegen der anstehenden Auflagen potente Sponsoren auftreiben müssen. Dies beinhaltete ein fast vollständige Sperrung des dortigen Parkplatzes für die aktiven Teilnehmer. Da nun auch einige Dixi-Wanderscheißhäuser nicht mehr als ausreichend angesehen wurden, sollten mehrerer Toilettencontainer her, ferner mussten Fluchtwege für Rettungsfahrzeuge markiert werden – dadurch fielen auch haufenweise Stellplätze für Händler weg.
Anschiss auf der ganzen Linie, weil die interessierten Massen außerdem ewig mit ihren Stinkern an den Busen der Natur kutschen, brauchen sie natürlich Parkgelegenheiten.
Schließlich zog der Senat seine angesagte finanzielle Unterstützung zurück, nicht nur wegen des dortigen Wirrwarrs.
Wir vermuteten einen ganz anderen Grund! Wegen der ganzjährigen Konkurrenz zu Ostberlin, wurde deshalb diese innerstädtische Drachen-Bambule in Betracht gezogen, dem konnten die Ostler nämlich nichts gleichwertiges entgegensetzen .
Nun hockten im Senat ein Haufen Trümmerkids, emporgestiegen aus kläglichen Verhältnissen, die mit großer Bestimmtheit niemals haben Drachen steigen lassen und deshalb scheinbar gar nicht wussten, dass man für jenes Hobby gewisse Wetterphänomene benötigte…
Unter bestimmten Voraussetzungen waren die Verantwortlichen trotzdem bereit Knete springen zulassen, dafür kam aber nur das Gelände vor dem Reichstag in Frage.
Wegen der auserkorenen provinziellen Rasenfläche zeigte die internationale HauteVolaute der Kite-Zunft aus Amiland, Neuseeland und Ostasien kein Interesse. Ebenso ging es Professor Erhard Hössle, Nürnberg und Peter Malinski, Bremen, die weder ihre Man-Lifting-Systeme noch andere Drachengespanne fliegen lassen konnten. Dagegen sprachen nicht nur die angesagte innerstädtische Flughöhen. Nicht auszudenken, bei etwas heftigeren Westwind hätte sich ein solch fliegendes Kunstwerk selbständig gemacht und wäre in den ehemaligen sowjetischen Sektor gedriftet…
– Mit einem fetten Edding wurde die Vorderansicht vom Wallot-Palverhaus auf synthetisches Papier (Tyvek) skizziert. Da Jenniger mal wieder Stenz mit Christo veranstaltete, stand deshalb über dem Portal: TRAUTES HEIM – GLÜCK ALLEIN.
Als mir kam, dass ich mich in den Details verzettelte, blieben die hinteren Türme einfach weg, auf die Rückseite kam mit einem ganz weichen Bleistift, nur andeutungsweise der Entwurf vom verhüllten Gebäude, ebenso an der rechten Seite.
Das Glas im vorderen Eingangsbereich und der Kuppel entstand aus dünner Malerfolie. Die Ausmaße des entstandenen Flugobjektes war einer andeutungsweisen Hargrave-Box nachempfunden – 1,5m lang, 1m hoch und 1m tief. Eine Probeflug fand nicht statt, denn bei der entsprechenden Windstärke und einer korrekt angebrachten Waage, flog auch ein Bierfass.
Alle Raumdiagonalen bestanden aus dünnem Draht, an dem 1m lange bengalisches Feuerstäbe, rot und blau befestigt wurden. Eine Wunderkerze der gleichen Länge, mittig angebracht diente als Lunte. In den beiden unteren Ecken sollten je ein ¼ l Ballon mit Spiritus klemmen, abgefüllt in zwei ineinander gestülpten Präservative. Hört sich alles recht simpel an, als Kinder hatten wir in der kälteren Jahreszeit noch ganz andere Versuchsanordnungen in der Luft gezündet – Wobei wir damals höllisch darauf bedacht waren, dass der Drachen bei diesen Experimenten natürlich nicht abfackelte!
Samstag zur Mittagszeit, begann es Mistgabeln zu schiffen, was bis auf kurze Unterbrechungen anhielt. Trotzdem machten wir uns gegen 19 Uhr in Richtung Reichstag auf, dort trafen wir ein Haufen Unentwegte, die ihrerseits in Autos hockten oder unter Sonnenschirmen auf das Ende der Regenschauer harrten.
Für einen kurzen Moment hörte es auf zu gießen. Stefan und ich komplettierten unser Flugobjekt und begaben uns recht schnell in die Mitte des Platzes. Oh Fuckkkk! So schnell wir der Wind abebbte begann es wieder zu schütten, also Retour zum Bus. Diese letzte Husche dauerte vielleicht 30 Minuten, aber wir brauchten nicht wieder raus mit unserem Drachen. Für den Abend war alles gelaufen, da bengalisches Zeug unwahrscheinlich hygroskopisch ist…
Da der Wind auch wieder etwas auffrischte, ließen noch ein paar Leute illuminierte Lenkdrachen steigen. Für die kurze Zeit ein recht teures Vergnügen, diese Lightsticks kosteten damals pro Stück noch um die acht Mark.
Am nächsten Tag erwartete uns geiler Sonnenschein, deshalb machten wir uns nach dem Frühstück in Richtung des tauben Parlamentsgebäudes auf.
Vorsichtshalber verstaute ich heimlich noch etwas.
Kaum auf dem Platz der Republik angekommen, mein feuchtes Teil wurde gerade auf dem Dach des Autos platziert, als mich Werner, seines Zeichens Monsieur le Président vom Berliner Drachenklub ansprach, wegen einer eventuellen Mitarbeit in einem Preisgericht. Es standen 3000 Mark in Wertgutscheinen für den Drachenladen zur Verfügung.
Mir schwebte ein anderer Modus der Bewertung vor, mehrere Klassifizierungen auch unterschiedlich vom Alter her. Denn ein Haufen Kids wollten mit recht originellen Flugteilen antreten, meine Überstimmung erfolgte scheißliberal und demokratisch, ich stieg aus.
Sollte aber unbedingt mit meiner Box zum Wettkampf antreten, ohne den Widerspruch abzuwarten verewigte mich Werner in seiner Kladde.
Schließlich lobte man nur drei Preise aus, die beiden ersten Plätze belegten recht monströse Teile, 30 und 15 Quadratmeter groß, japanischen Ursprungs. Beide Teams hatte morgens schon begonnen ihre Werke zu bemalen. Die Dinger kamen zwar künstlerisch perfekt rüber, erstickten aber den Einsatz der anwesenden Gören vollends – schade!
Meinen Drachen befreite ich vorsichtig von allem Unbrauchbaren, befestigte dafür in der Mitte eine Kartusche aus dem Seenotrettungsset – NOTFEUER ROT! – Vor Jahren hatte ich mal zehn Stück für einen Appel und´n Ei erstanden, überlagerte Ware. Bisher hatte noch kein Teil versagt. Dieses Signalfeuer befand sich in einer Plastickartusche, ungefähr 30 cm lang und 4 cm im Durchmesser. Am einen Ende befand sich eine Befestigungsöse, auf der anderen Seite ein Schraubdeckel an dem innen noch eine dünne Reißleine hing. Nach der Entfernung des Verschlusses, zog man recht heftig an der Schnur und sofort blubberte gleißendes rotes Feuer hervor, verbunden mit heftiger Rauchentwicklung und dies genau für 30 Sekunden! Nach irgendeiner alliierten Waffenklausel war sogar der Besitz dieser sprühenden Fackel verboten, weiß der Teufel weshalb…
Als wir uns bereit machten, ebbte wie in der vergangenen Nacht der Wind ab. Mit der Waage gab es leichte Probleme, da ich zum Test immerfort rennen musste, vorsichtshalber knöperte ich noch je 10m rot/weißes Flatterband an die unteren Ecken.
Alles klappte wie am Schnürchen, Stefan zählte bis drei, riss die Leine und ich lief rückwärts los. Ringsherum johlte alles auf. Die Zeit reichte genau, um auf dem abgesperrten Areal den Drachen auf vielleicht 16 bis 18m Höhe zu bekommen. Auf den Photos hat es den Anschein eines Raketenantriebes, dem war aber nicht so.
Als wieder Ruhe einkehrte, Feuer zusammen mit dem Rauch erlöschten und das Teil sanft landete, ertönten ringsherum infernalische Schreie, Pfiffe und Klatschen.
Am wildesten gebärdete sich die Crew aus den Niederlanden…
Wir verstauten unser Equipment und begaben uns auf Verabschiedungstour, als Monsieur le Président ganz aufgeregt bat, nicht sofort zu verschwinden wegen der Siegerehrung.
Platz 1 (1500 DM) belegte dieses riesige Teil, mit einer Ansicht halbschräg von rechts auf den Reichstag und ging an die belgische Gruppe, der 2. (750 DM) an Franzosen. Dank der Holländer landeten wir auf dem dritten Platz. Aus irgendwelchen Gründen wurde unsere Platzierung in den Medien nicht erwähnt – Redakteure sind halt oft recht humorlose Geschöpfe.
Die vier Bilder stammen von einem jungen Mann, an dessen Namen ich mich momentan nicht erinnere – versuche ihn herauszubekommen.
KITES usw.
Till war 1985 in Weifang auch dabei…
Kite-Lines-Winter.Spring 1987 – Seite 52