Jene Geschichte kam mir vergangenes Wochenende, während des Klassentreffens wieder hoch, als mich jemand fragte, weshalb ich damals nach Stolberg kam

Kurz nach jener Begebenheit landete ich schließlich im dortigen „Walter-Schneider-Heim“.
In Vorbereitung der Jugendweihe kam es auf einer Klassenfahrt zu einem Vorfall, der mich nicht mehr losließ, mir anschließend außerdem im Gesicht geschrieben stand.
In einer Toilette auf dem Gelände vom KZ Buchenwald überwältigten mich einige Mitschüler, wur­de festgehalten und musste mir den ersten Judenwitz meines Lebens anhören – Für Ardennes In­stitut in Dresden gab die Partei den Auftrag, eine Wiedergutmachungsmaschine für Israel zu entwic­keln, die man oben mit Kernseife füllte, unten spazierten dann kleine Juden heraus…

Anschließend gab es von der Mannschaft Keile, weil ich nicht lachen konnte, dabei amüsierten sich meine Peiniger köstlich. So schnell wie der Spuk begann, war er vorüber, verbunden mit dem Hin­weis, meine Schnauze zu halten.
Optisch und psychisch nicht mehr in der besten Verfassung überstand ich den Tag, keiner der be­gleitenden Lehrer schien etwas bemerkt zuhaben…
Abends, nach der Schilderung erschrak ich über die Reaktion meiner Mutter. Sie bezog Oma mit ein, was mich veranlasste alles noch mal zu berichten. Großmutter kauerte hemmungslos wei­nend auf einem Stuhl, ihre Tochter wollte infernalisch kreischend nur die Namen von den Beteiligten.
Opa konnte mir leider nicht mehr beistehen, driftete er doch langsam ab. Wegen aufkommender Spät­folgen, als Rotes Pack ihn, am 17. Juni ´53, fast totschlug. Als er sich in die Walkmühle begab, um vor streikenden Bergleuten eine Rede zuhalten…
Da ich nicht bereit war, mich dahingehend zu äußern, versuchte Mutti es unter herben Einsatz eines Teppichklop­fers. Bisher ohne erzieherische Gewalt- und Alkoholorgien im Halbelternhaus herange­wach­sen, brach in mir etwas auseinander.
Auch das, am nächsten Tag anberaumte folgenschwere Tribunal, ließ ich vollkommen sprachlos über mich ergehen. Ebenso weitere später versuchte Aus­horchungen und Gespräche in der Schule, wobei die Mutter meiner Schwester immer mit auf der Gegenseite hockt.
Ab diesem Zeitpunkt galt ich nun endlich, als vollkommen krankhaft verstocktes Kind. (Was mir später sehr zum Vorteil gereichte, als mich ewig die Stasi in der Mache hatte. Besonders zu den ellenlangen Verhö­ren im Roten Ochsen, da ging es um zwei zusätzliche Totensonntage wegen illegaler Verbindungs­auf­nahme. Saß nämlich noch im Ungarischen Staatsgefängnis, da hatte mir der Westen bereits einen Anwalt in der Zone gestellt, wie ich das wohl hinbekommen hatte…)
Langsam begannen alle möglichen Mühlen zu mahlen, wobei es jeder nur GUT mit mir meinte. Jene Phase erstreckte sich noch lange 12 Jahre. Wobei die Situation soweit kulminierte und mich das dummrote Muttertier so gar anzeigte und sie beim zweiten mal, sogar auf die Einweisung in ei­ne Klappsmühle bestand…
Mein Stillschweigen dankten mir die Mitschüler, wodurch ich zu den meisten ein besseres Verhält­nis bekam, denn von fast allen wurde ich vorher, als Ableger einer dummroten Zecke jahrelang ge­mieden und nicht nur verbal gequält, teilweise auch von bestimmten Lehrern.
Was hätte es in dieser Situation gebracht, über den Vorfall zureden?
Als frühreifes Bürschlein war ich mir mit 14 Jahren der Folgen sehr bewusst.
Unser aller Leben wäre verpfuscht worden! Die Jungs in Spezialheimen gelandet und ich hätte mir einen Strick neh­men können oder eine zonenspezifische Laufbahn einschlagen müssen, vielleicht sogar als dauer­haft spitzelnder Tschekist der Stasi…
Nee, nee!
Mit der falsch verstandenen Kameradschaft konnte ich leben, so viel gefestigtes Rückgrat ward mir, trotz meiner Skoliose, bereits gewachsen.
Wenn ich zurückdenke, meine Sensibilität gegen diese Art von Belustigung reduzierte sich in den folgenden Jahren ganz schön. Bekanntlich kursierten jene Witze in der klassenlosen, sozialisti­schen Gesellschaft inflationär, angefangen bei ungebildetsten Proleten oder Bauern, bis hin zu pro­movier­ten sozialistischen Persönlichkeiten, ebenso unter den Genossen der Dreigrammbewegung
Während meines Jobs im Westen vernahm ich von meinem türkischen Werkbanknachbarn, lediglich einen von der jüdischen Sorte, alle anderen kannte ich bereits…
Überhaupt war es relativ einfach, wie ich in Stolberg landete.

Mein Freund Datsch, mit dem ich mich bereits seit drei Jahren, mit Radiobastelei beschäftigte, machte zu Beginn der 8. Klasse seinem Vater die Durchsage, dass er die Schule verlassen wollte. Über sein Ansinnen war der Alte begeistert, meine Mutter flippte total aus. Daraufhin legte ich mit einer unbegrenzten Verweigerungshaltung los, was dabei niemand registrierte, ich lernte kontinu­ierlich weiter.
Anschließend kungelte die Alte mit dem Amt, wegen einer Heimunterbringung, wobei sich aller­dings Großmutter, mit ihren VdN-Beziehungen einschaltete. Sie besorgte mir sehr schnell einen Platz in einem Internat, allerdings ging es nicht, während des Schuljahres dort unterzukommen. Versprach dann sofort, meinen Boykott zu beenden. Allerdings hatte ihre Tochter bereits alles in trocknen Tüchern, nur das formlose Einverständnis meines Klassenlehrers fehlte noch.
Dann gab es mehrere Befindlichkeitsstörung, welche den Lehrer nicht behagten, wegen der Minus­punkte im sozialistischen Schulklassenwettbewerb.
Bei einer Geschichte bekam ich zusätzlich eine Breitseite, da Oma, über Berlin eine miesen Pauker abschoss, der dickbrüstige Mädels mächtig betatschte.
Zu meiner Tätigkeit hinsichtlich der Funkamateurprüfung in eine paar Jahren, stieg ich bei der GST-Station: DM3KLH ein, machte aber im Pionierhaus noch einen zusätzlichen Morsekurs. Wobei wir zu viert unsere Tätigkeit dort erweiterten, in den Foto-Räumlichkeiten. Unsere Perfektion ging dann in Richtung Hardcore Pornos, deren Ablichtungen in Postkartengröße brachte richtig Kohle. Als alles aufflog, gab es nur schwere Verweise in der Schule, denn eigentlich stand auf diese Art Kreati­vität, mindestens ein Totensonntag im Knast. Vermutlich war es den entsprechenden Genossen doch peinlich, weil Halbstarke ausgerechnet im Pionierhaus, ein unstillbares Bedürfnis von Teilen der Be­völkerung befriedigten.
Manchmal ist es ja verrückt, da knallen dann mehrere Unannehmlichkeiten zusammen, deren an­schließenden Fol­gen, vorher nicht kalkulierbar sind. War nebenher noch Junger Geologe und wurde zweimal von der Polizei hopp genommen, als wir an der großen Abraumhalde nach entsprechenden Versteinerungen suchten. Diese Art der streng verbotenen Neugier, handelte man dann montags immer zum Fahnenappell ab.
Hinzu kam noch eine Kleinigkeit, hatte mich schon länger mit Datsch damit beschäftigt, Ammoni­um­nitrat anderweitig zu gebrauchen, dieses Zeug lag Säckeweise gestapelt auf Feldwegen herum. (Auch anderweitige Hinweise gab es aus Großvaters gymnasialen Chemielehrbuch.) Dazu brauchten wir aber entsprechende Chemikalien zur Herstellung von Initialzündern und die lagen in den Schränken des Chemieraumes. Das gewisses Zeug massenhaft fehlte, darauf kam der Lehrer zufällig, hatte doch ein andere Klas­sen­kamerad Phosphor dort weggefunden und sich beim Hantieren mächtig einen Vorderlauf tief ver­brannt. Der Doc im Krankenhaus macht daraufhin eine Anzeige. Obwohl man mir nichts nach­weisen konnte, gab es Minuspunkte.
Plötzlich war alles zu spät.
Auf unseren ewigen Touren auf die vielen Schuttplätze im Umkreis von 15 km, ging es anfangs lediglich um Sammelei von weggeschmissener Radio- und Elektroteilen. Bei mir kam es auch zu einer recht ansehnlichen Sammlung von Hieb- und Stichwaffen, sowie Or­d­en und Ehrenzeichen von Gründung des Kaiserreiches an und besonders der beiden Weltkriege. In den zwei Jahren waren mehrere Hundert dieser Orden zusammen gekommen, dazu einige Säbel, De­gen und Massen an Ehrendolchen aller Waffengattungen und viel Bajonette…

Wer mich damals verpfiffen hatte, darauf bin ich nie gekommen.
Dann ging es ab.
Oma versprach, mich nach Beendigung der 8. Klasse umzusiedeln, was auch geklappt hätte.
Wollte aber dann nicht mehr, wegen meines Standes im Heim. Durfte wochentags immer in die Stadt, weil ich mit Hans-Werner befreundet war und wir auch ewig basteln konnten.
Außerdem brachte mir die Schlägerei mit dem Heimleiter, am Todestages von JFK, auch in der Schule viel Wohlwollen ein.
Hinzu kamen die vielen Hochglanz-Journale von meiner Brieffreundin aus Tokio, anlässlich der spä­teren Sommerolympiade…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert