FALK-ATLAS P/10 – Sommer 82

Es soll ja Leute geben, die bei den Namen Langhans und Schadow fast einen Orgasmus bekommen und mit verklärtem Blick dann sofort an das Brandenbur­ger Tor denken.
Mag sein, mir kamen aber solche Gefühle nie auf. Zwar fand ich als Kind dieses Teil auch gewaltig, aber schon als Halbstarker sah ich es unter einem ganz ande­ren Aspekt, wobei ich die Leistung beider Männer in keiner Weise schmälern möchte.
Berlin wäre fast ein Nichts ohne dieses monströse Ding, was einfach so rum steht, zum Durchfahren oder Durchlatschen.
Dieses gewaltige Portal ist für mich immer ein Symbol merkwürdigster Manifestation von Macht gewesen. Bei der Vorstellung, dass Hunderttausende in schnieker Militärkluft dort freudig durchmarschierten auf dem Weg zu Schlachtfelder in der ganzen Welt, es anschließend nie wieder sahen, da wird mir immer ganz anders.
Gott sei Dank, ging dieses zweifelhafte Privileg, irgendwo als uniformierter Tourist auf Jagd zu gehen, schlicht an mir vorüber.
Allerdings büßte das Tor seinen militärischen Reiz auch zu Mauerzeiten nie ein. Denn beide Systeme kochten an dieser historischen Stätte ihr Süppchen. Wäh­rend Regierungsdelegationen bei ihren Besuchen in der „Hautstadt“ über den publikumsfreien Pariser Platz schlamperten, wurden auf der Westseite, demo­kratisch die hölzerne Aussichtsplattformen weiträumig für den Pöbel gesperrt.
Bestimmt gibt es noch Leute, die sich daran erinnern können, wie Kognak-Willy ver­suchte, Lemmer von seinem schnöden Tun abzuhalten, der mit wutentbrannter Miene, scheinbar drauf und dran war, ei­genhändig ein Stück Mauer abzureißen.
Für Leute, denen der Name Lemmer nichts sagt, er war damals u. a. „Bundesmi­nister für innerdeutsche Fragen“ – brauchte also nie Antworten zu geben. Ernst L. aus Bonn, versuchte wenigstens zu handeln. Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen F.J.S., seines Zeichens Verteidigungsminister, der am 13. August be­soffen in seiner Koje lag, nicht gestört werden wollte und schließlich noch tage­lang seinen Kater auskurierte, und es folglich von der Hardthöhe keine Reaktionen gab.
The Brandenburg Gate“ besaß fortwährend eine magische Anziehungskraft für Horden von Besatzern, die später auf der einen Seite Schutzmächte hießen, auf der anderen Freunde, die sich vor dem Tor ablichten ließen. Wobei die gemeinen Sol­daten aus der östlichen Hemisphäre dieses Vergnügen nur einseitig ge­nießen durften. Dafür kamen bei Verwendung entsprechender Objektive, von der west­lichen Seite, immer die Ärsche der Quadriga-Gäule alle Fotos.
Seitens der „Strasse des 17. Junis“ gab es die Möglichkeit viel näher an das Tor heran zu kommen, allerdings erschienen die schamhaft mit grobem Holz in Kistenform verpackten Panzersper­ren auf der Ostseite, nicht gerade vorteilhaft für das Gesamtbild, aber Politik hat schließlich nichts mit Ästhetik zu tun.
An die schizophrene Situation dieser Grenze wurde ich am Brandenburger Tor immer besonders erinnert. Nicht nur, weil dieses Bauwerk meine Sichtachse lot­recht zerhackte. Bis 1974 konnte ich vom Osten her die güldene Sieges-Else auf ih­rer Säule betrachten und durfte die grenzenlose Freiheit nach oben genießen, die mir aber als flügelloses Wesen nichts nützte. Deshalb waren auch die hundert Meter bis hinter das Tor unüber­windbar. Ende ´75 ging es mir bei meinem Blick durch die Säulen nicht anders, zwar wesentlich näher am Portal, nun mit Blick nach Osten zum Roten Rathaus, aber die Unüberwindbarkeit der Grenze bestand für mich nach wie vor.
Was war aber dieser kleine beschränkte Durchblick im Gegensatz dazu, dass mir ja nun fast die gesamte Welt offen stand. Was lange vor dem Mauerfall eine ganz andere Wertigkeit besaß und jeder erfassen konnte, der auf der anderen Seite angekommen war.
Bevor die Organe mir den PM 12 (Kennkarte als Ausweisersatz, mit dem der Inhaber das Staatsgebiet der DDR nicht verlassen konnte, auch nicht in Richtung Polen oder des Tschechlandes) verpassten, genügte mir im Osten noch die ausgerissene Seite aus einem Volksschulatlas mit den angrenzenden Gefilden östlich der Oder, in den Reichsgrenzen von Ende Oktober 1939.
Länger ließ man mir meine Longe nicht, da ich als aktiver Beatanhänger – (Stasislang) versuchte, auf dem Gebiet unsrer Deutschn Demokrtschn Replik der westlich dekadenten Lebensweise zu frönen.

*

Irgendwann, nach dem Oktober ´75, waren dann Kartenausschnitte vom Globus als erklärende Hilfsmittel für kleine Fluchten angesagt.
Trotzdem landete ich die ganzen Jahre immer wieder an dieser Stelle, die man auf älteren Berliner Stadtplänen des Falk-Verlages, unter den Koordinaten P/10 finden konnte. Schuld daran war eine Eigenart von mir. Für Ortunkundige Freun­de, fungierte ich den ersten Tag ihres Berlinaufenthaltes im­mer als Scout, und da war halt das Brandenburger Tor obligatorisch.
Unter ihnen befanden sich Personen, die im Laufe der Zeit wahre Berlinfans wurden, und denen ich dann bei Gegenbesuchen spezifische Geschenke mitbrach­e. Schilder von den Interzonenzügen: Hoek van Holland-Berlin-Warschau, Halte­stellentafeln der BVG, am beliebtesten stellten sich aber die kleinen Hinweisschilder heraus, die alle paar hundert Meter entlang der Grenze im Auftrag der Schutz­mächte gepflanzt wurden. Sehr attraktiv fand ich die polierten Granittafeln der Fran­zosen, die außerdem in Brusthöhe angebracht waren. Von denen ich allerdings nur eine im Eiskeller weg fand. Die Demontage konnte nur mit sehr viel Aufwand vons­tatten gehen, denn die Befestigungsschrauben waren gesenkt eingelassen in Bet­onhalterungen und total eingerostet.
Sahen die französischen Teile gediegener aus, so fand ich die britischen richtig poppig, allerdings wesentlich höher angebracht, ich schätze, um die sieben Fuß. Sie ließen sich erheblich einfacher verlagern, denn es mussten nur zwei M 8er Schrauben gelöst werden. Allerdings gab es da ein anderes Prob­lem: Der rege Besucherstrom an diesen Stellen, denn der britische Sektor grenzte innerstädtisch an den russischen.
Drei Teile wurden von mir zu den unterschiedlichsten Tageszeiten demontiert, imm­er südlich des Brandenburger Tores im Sektor P/10. Obwohl sich in Wurfweite, hinter Sträuchern ein hölzerner Beobachtungsturm hauptsächlich für grenzgeile Touries befand, war die Stelle gut gewählt, denn dort wuchs das hohe Buschwerk ziemlich an die Mauer ran.
Die letzte Aktion gestaltete sich für mich am schwierigsten. Nicht etwa, weil ich er­wischt wurde und es Folgen hatte, nee, bei der Demontage ging mir ein KOB mächtig auf den Keks. Danach war auch zappo, wegen der veränderten Form aller Befe­stigung.
Schild Nr.1 hing an zwei verrosteten Schrauben, da half Caramba-Rostlöser. Nr.2 hing an fast neue Muttern. Beim letzten waren allerdings die Gewinde­stücken schon fürchterlich mit dem Hammer aufgepilzt, aber mit zwei 13er Markenringschlüsseln gab es keine größeren Probleme.

*

Zur Erinnerung, diese Schilder sahen folgendermaßen aus: 50 mal 50 cm, die Fläche in weiß gehalten und rot umrandet. Mittig im oberen Teil prangte der Union Jack, in 15 mal 8 cm Größe. Während sich in der linken oberen Ecke die fortlau­fende Nummerierung befand, für die Kennzeichnung der Punkte, an denen sie angebracht waren, stand unten rechts RMP, wenn mich nicht alles täuscht, be­deutete dies: Royal Military Police. Meine Schilder trugen immer die Nr. 13 und die Aufschrift war folgende:
END OF BRITISH SECTOR
DO NOT PASS THIS POINT
ENDE DES BRITISCHEN SEKTORS
VOR DEM WEITERGEHEN
WIRD GEWARNT

Mitte der Achtziger erhielt ich preiswert ein gebrauchtes Motobecane-Rad, checkte es durch, und testete es anschließend. Es schien die Gelegenheit zu sein, mal wieder am Punkt 13 vorbeizuschauen, denn Krefelder Freunde wünschten sich für ihre WG-Küche et­was berlinerisches. Was passte besser dorthin, als eins dieser Schilder.
Kreuz und quer gings durch den Tiergarten, nebenbei stellte ich fest, dass man hier unbedingt ein Rad mit 21er Gangschaltung brauchte. Ein Tourenrad mit dreier Nabenschaltung währe optimal gewesen, denn mit den Alufelgen ließ sich nur bedingt die Bordsteine hoch und runter hüpfen.
Jeder konnte auch registrieren, dass man in unmittelbarer Mauernähe nicht radeln konn­te, denn überall lagen zertöpperte Bier- und Schnapsflaschen rum.
Jener Samstagnachmittag schien auch ungünstig gewählt für meine Unterneh­mung, denn überall schienen sie Busladungen von Touries abgekippt zu haben. Mäch­tiges Gewimmel fand ich am Ausguck vor. Als es etwas dünner wurde, setzte ich mich oben auf eine Ecke des Geländers, ließ die Beine nach außen baumeln und betrachtete schräg vor mir über dem Grün mein Schild. Noch in Gedanken ver­sunken bemerkte ich, dass mich von unten jemand ankrähte, so von wegen, schlechtes Beispiel für Kinder und Jugendliche. Nur überhören und nicht nach dem Schreier schauen, der schien sich nicht einholen zu können. Endlich machte mich ein neben mir stehender vorsichtig darauf aufmerksam, wer sich da ebenerdig echauffierte. Das Gesicht des armen Gendarmen hatte schon eine gefährlich rote Färbung angenommen, außerdem zierten sein Uniform­hemd mächtige Schwitzflecken. Der Mann schien sichtlich sauer, dass er an ei­nem solchen Tag dem lieben Gott die Zeit stehlen sollte. Von den Umstehenden wollte ich erst mal wissen, ob sie nicht auch meiner Meinung wären, dass der Herr viel dicker sein könnte, auch nicht so schwitzen würde, bei etwas weniger Gekreische.
Verhaltenes Kichern und böse Blicke veranlassten mich, die Taktik zu ändern. Gelangweilt drehte ich mich nach innen, blieb aber weiter sitzen. Die Plattform be­gann, sich zu leeren, dabei hagelte es noch Sprüche von Lieschen und Otto Nor­malo. Meine Frage, ob sie mich etwa verantwortlich machen wollten für pädagogi­sche Defizite irgendwelcher dahergelaufener Elternteile, falls ihre Kinder sich auch so bequem hinhocken würden wie ich, ließen alle unbeantwortet.
Nun machte die kleine grüne Rothaut An­stalten die Treppe zu erklimmen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, in dem Moment, wenn er die Plattform betrat die vier Meter runter zuspringen, aber es reichte mir. Während des Hinabsteigens ging sein Geplapper von vorn los. Da ich ihn nicht weiter beachtete, wurde er seltsamerweise ruhiger, rief mir aber noch etwas hinterher, als ich mich verbotener Weise radelnd entfernte. Vielleicht 50 Meter weiter ließ ich die Karre fallen und legte mich auf den Rasen. Nun war es an ihm, mich zu ignorie­ren, als er vorbeiging. Alsbald gings retour, lehnte mein Rad an das Rohr, stieg auf die Querstange und begann, die Schrauben erst mal zu lockern. Der Teu­fel wollte es, gerade beim Verstauen der Schraubenschlüssel im Parka, sprach mich jemand an, was ich dort oben machen würde.
Nein, nicht schon wieder.
Für ihn war es genauso verwerflich, auf einem Herrenrad zu stehen, sich dabei an dem Rohr festzuhalten und in der Gegend herumzuschauen. Dabei gab es gar nichts zu sehen, denn über den Beton konnte ich wegen der Höhe nicht schauen, ansonsten rechts und links von meinem Platz nur Gebüsch und vor mir bemalte Wand. Hoffentlich nahm er das Schild nicht weiter in Augenschein.
Schließlich packte ich mein Fahrrad, lehnte es an den Beton und hockte mich da­neben, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt. Ob nicht bekannt wäre, dass ich mich in diesem Augenblick einer Grenzverletzung schuldig machte. Nun reichte es mir und verlangte für weitere Belehrungen einen alliierten Offizier. Daraufhin dreht der Mann bei und verschwand. Meinen Renner band ich wieder an das Rohr und beobachtete den Polizisten, der sich ins Endlose trollte.
Endlich sicher, dass er nicht noch mal auftauchen würde, erklomm ich erneut die Querstange und nach wenigen Handgriffen hielt ich mein Beutegut in den Händen. Von mehreren Gaffern kamen positive Sprüche, denn sie fanden die Geschenkidee sehr originell.
Wieder auf dem Rad sitzend, wurde das Blech unter meinem Parka verstaut, die unteren Schnüre festgezurrt und los gings in Richtung Lenne´-Straße. Das war ein scheiß radeln. Immer wechselseitig knallten meine Schenkel gegen das Stück Metall. Am Dreieck kämpfte ich mich durch hohes Unkraut und Ge­büsch, auf einem Pfad weiter zur Bellevue Straße. Lauschte kurz vor einem hohen Kantstein auf den Verkehr, sicher dass nichts kam, hüpfte ich elegant auf den Bitu­men. In diesem Augenblick kam ein Narr mit hoher Geschwindigkeit von links an­gebrettert. Ruckartig hieß es nun sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrie­ren. Musste beim Springen Obacht auf die Felgen geben, ein Auge auf das Auto werfen, und die Karre scharf nach rechts ziehen. Hupend zog der Kraftfahrer schleudernd sehr weit links an mir vorbei und touchierte fast im gleichen Augen­blick ein entgegenkommendes Fahrzeug. In diesem Moment öffnete sich die Kordel meines Parkas und das Schild schlitterte über die Fahrbahn. Der Fahrer des vom Kemperplatz kommenden Autos, gerade ein Lenkmanöver hinter sich, wurde wieder irritiert und stand mit quietschenden Reifen, plötzlich quer, mitten auf der Straße. Auf beiden Fahrbahnseiten Bremsgeräusche, Hupen und lautes Flu­chen. Die Situation roch nach einer Lynchfete, also nur weg. So ganz nebenbei kam die Erkenntnis, dass meine Bremsen nicht korrekt eingestellt waren. Ein paar Meter hinter dem unversehrt mitten auf Straße liegendem Schild kam ich zwi­schen mehreren Autos zum Stehen. Sprang vom Rad, lud es, so wie es stand auf meinen Ast, rannte die paar Meter retour, wobei das wedelnde Vorderrad mich heftig am Rennen hinderte. Der Lenker knallte mir dabei mehrfach an den Kopf, ich klaubte das Blechteil auf, huschte diagonal über die Entlastungsstraße in Rich­tung Tiergartenstraße, schwang mich auf meinen Hirsch und verkrümelte mich ra­sant in den kleinen Fahrwegen hinter der Philharmonie. Auf der Rasenfläche an der Matthäikirche war dann relaxen angesagt, wobei ich beschloss, beim nächsten Mal anders vorzugehen.
Dazu kam es aber nicht mehr. Kurz darauf waren Muttern, Schrauben und Halterung aus Flacheisen, durch eine E-Schwei­ßung eins geworden, leider gab es die Accu-Flex für den priva­ten Gebrauch noch nicht.
Vom Krefelder Detlev weiß ich, dass er dieses Relikt des kalten Krieges aus WG-Zeiten rübergerettet hat und es immer noch existiert.
Mit ihm und einem Freund erlebte ich später etwas, dass bei der versuchten De­montage eines Straßenschildes allerdings leicht hätte ins Auge gehen können.
Gemeinsam mit meiner Freundin waren wir und die Krefelder abends im Cafe´ Carroussel, in der Eisenacher Straße verabredet.
Kurz nach dem die beiden eintrudelten, begannen sie mir ein Ohr abzukauen. Die Zwei waren vom Ku-Damm zur Kneipe spaziert und dabei die Motzstraße überquert, eben dort kam die Idee, eines dieser Schil­der abzumontieren, denn in der WG-Küche sollte eine Motz­ecke etabliert werden. Es wäre doch kinderleicht so ein Teil abzuschrauben, wegen der zwei VA-Schlauchschellen zur Befestigung. Deshalb sollte diese Aktion noch in dieser Nacht steigen. Was ich total bescheuert fand, denn am helllichten Tag könnte es viel unauffälliger vonstatten gehen. Mein Vor­schlag lief darauf hinaus, am nächsten Tag, zwei Leute im Blaumann mit Eimerchen, Lappen und kleiner Leiter, ganz unauffällig ein paar Schilder putzen und nebenbei eins abzumontieren. Leider fand diese Idee keine Zustimmung. Da ich zu einer nächtlichen Aktion keine Lust verspürte, war das Thema für Stunden beendet.
Kurz vor unserem Aufbruch, weit nach Mitternacht, ließ ich mich trunkend überreden, es in der Dunkelheit zu probieren. Detlev und Ralf schlamperten in Richtung Motzstraße los. Meine Freundin fuhr mich nach Hause, um entspre­chendes Werkzeug einzustecken: mehrere Schraubendreher, Seitenschneider und eine Kneifzange. Dann fuhren wir zum Treffpunkt an der westlichen Einmün­dung besagter Straße am Viktoria Luise Platz. Evi, obwohl ihr sehr mulmig ward, wollte in der Einmündung Winterfeldstraße auf uns warten. Im Rahmen einer Verkehrsberuhigung war die Motzstraße, dort als Sackgasse, durch Poller von den anderen Straßen abgetrennt worden.
Gemeinsam schlamperten wir die Motze bis zur Ansbacher runter und beschlos­sen schließlich am Platz das Schild zu nehmen. Nebenbei kamen nun von Detlev Vorbehalte. Wieder oben angekommen, gab meine Freundin durch kurzes Fernlichtaufblinken zu verstehen, dass sie auch bereit sei.
Bei Alt­berliner Straßenschildern wäre es einfacher gewesen, denn dort wurde das beschriftete Blech nur in einen Rahmen geschoben und durch eine Schraube gesichert.
Detlev wollte, in gewisser Entfernung am Platz zwischen Motz- und Regensburger die Gegend sichern. Ralf lehnte sich mit dem Rücken an die Laterne, ich bestieg seine Räuberleiter und hielt ich mich oben mit einer Hand fest. Der Versuch die Schelle mit Hilfe einer langschenkeligen Kneifzange zum Bersten zu bringen, musste sehr schnell aufgegeben werden. Endlich die erste Befestigung mit einem Kreuzschlitzschraubendreher aufgefummelt, das Schild klappte auf halb acht nach unten, wurden wir beide plötzlich von aufge­blendeten Scheinwerfern etwa fünfzig Meter vor uns angestrahlt. Gleichzeitig, mit sich fast überschla­gender Stimme, kam aus der Richtung dröhnend die Frage, was wir dort täten. Noch während Ralf mir zuraunte, »los runter!«, öffnete er seine beiden Hände und ich schrammte am Laternenpfahl abwärts und knallte mit den nackten Füßen auf den Gehsteig. Mein Spezi drehte sich zur Leuchte, schrie mit ver­drehten Kopf zurück: »Mann, können sie es nicht sehen, ich will pinkeln!«
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Affenartig klaubte ich meine Jesuslatschen und das verstreut liegende Werkzeug auf und registrierte währenddessen, dass der aufgeblendete Wagen ­startet, jemand schreiend in unsere Richtung rannte: »…wenn sie pinkeln wollten, wat sucht da jemand auf ihren Schultern? Halt stehen bleiben! Polizei!«
Von Detlev bekam ich nur noch einen Kondensstreifen mit, er jagte die Regensburger runter. Ralf preschte über den Platz in Richtung Welserstraße. Für mich blieb gerade noch etwas Zeit, hinter einigen Büschen abzutauchen. Dort ließ sich beobachten, dass beide Zivis am Tatort neben ihrer laufenden Karre standen und sich unterhielten. Gleichzeitig aber, schräg gegenüber, mein Fluchtfahrzeug startete und sich entfernte.
Wenig später tauchte Ralf la­chend auch wieder im „Carrousel“ auf. Meine Freundin schien nach Hause gefahren zu sein und Detlev trafen wir Stunden später, verschlafen kauernd auf der untersten Treppenstufe vor meiner Wohnungstür an. Statt uns wieder in der Kneipe zu su­chen, versuchte er lieber, im Hausflur zu pennen, denn er traf von meinen WG-Ge­nossen niemanden an.
Dieter, der Zapfer, kringelte sich, als wir ihm unser erfolgloses nächtliches Unterfangen schilderten. Später kam er mit einer einleuchtenden Erklärung, warum dort Zivis rumlungerten.
Wochen vorher war um die Ecke, in einer jüdi­schen Kneipe, dem “Mifgash” (Nachodstraße), eine Bombe hochgegangen, dabei starb ein Baby, 20 Menschen wurden verletzt. Die Kneipe be­wirtschaftete man anschließend nicht wieder is­raelisch, außerdem wurden die teilweise sehr merkwürdig anmutenden Hintergrün­de dieses Anschlags, nie aufgeklärt.
Deshalb der monatelange Aufwand einer Bewachung, da der Legende nach, jeder Täter an den Tatort zurückkehrt

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