(II) – NZZ, 12.Okt. – Wir sind zum Vertrauen verurteilt

Drei Menschen erzählen, wie ihr Vertrauen missbraucht wurde: von der Partnerin, der Mutter, dem Chef

Die Anfrage erreichte mich rein zufällig, aus Gründen, die ich nie aufklären konnte. Er lag die ganze Zeit in einem Kühlhaus, deshalb die verspätete Meldung an das Sterberegister in Sangersdorf. In jener Amtstube erinnerte sich eine Beamtin an die Wochen vorher beantragte Auskunft, deshalb konnte man mich überhaupt finden.
Das war vielleicht ein Saftladen in Erfurt, hatte mehrfach versucht, den verantwortlichen Typen zu erreichen. Ließ schließlich ausrichten, an einem bestimmten Tag dort aufzukreuzen und jemand sollte es ihm stecken.
Wir waren in der Nähe von Weimar auf einem Bauerngehöft abgestiegen, die Landschaft ganz toll, auch die umgebaute Scheune, aber…
Das geschmackvoll eingerichtete Zimmer müffelte abartig nach frischer Auslegeware, im Bad hingen mehrere Stinketannenbäumchen und pünktlich zur Morgendämmerung begannen, hunderte kleine Schwalbenmonster, etwa ein Meter über dem Fenster, mit infernalischem Geschrei. Auf der gesamten Länge des Hauses, von vielleicht 25 Metern, hing eine Nest neben dem anderen…
Zumindest gab es ein gigantisches Frühstück!
Obwohl sehr geladen, ging es mit dem Nachlasspfleger sofort in die Wohnung des verblichenen, anderthalb Zimmer, alles sehr sauber und gepflegt.
Anfangs kam ich mir vor, wie ein Leichenfledderer, nur gut, dass meine Freundin keine Skrupel hatte. Sie fand auf Anhieb die wichtigsten Sachen, geordnet in zwei großen Schubladen, dort machte ich eine Entdeckung, die mich kreischend auflachen ließ und alles ward gut.
Fand seine Geburtsurkunde auf einer Familienbibel liegend vor, unter diesem Folianten wiederum, lag zusammengefaltet die Sondernummer der SED-Bezirkszeitung, FREIHEIT, zum Todestag von Иосиф Виссарионович Сталин, vom März 1953!
Der Rest Jahrgangsweise penibel geordnet in den Fächern, teilweise mit Fäden zusammengebunden oder Schnippgummis drumherum.
Einige Papiere fanden wir in einer DIN A4 Hartpapiertüte, Unterlagen aus seiner kurzen Westzeit…
Nur der Inhalt beider Schübe interessierten mich, den Rest hätten sie in die Tonne treten können.
Anschließend gingen viele Monate ins Land, bis ich endlich den Erbschein besaß, entgegen aller Warnungen von der Schefffin.
Abzüglich sämtlicher Kosten, Miete, Zeitungsabonnements und sonst was, blieben 21 000 an Cash übrig.
Glücklicherweise gab es ein frisch besetztes Haus, mit mehreren Punkies. Sie waren sofort Feuer und Flamme, wollten fast alles haben, als äußerst hilfreich stellten sich eine nagelneue riesige Glotze und ein Öko-Lavamat heraus. Emsig wie Bienen halfen sie mir an zwei Tagen beim Ausräumen der Wohnung.
Was gab es noch erwähnenswertes für die jungen Leute? Ein Plastiksack, mit ehemals 500 Gummihirschen, jene Kondome besaßen solch eine Wandstärke, dass es nur einem Typen gelang einen davon aufzupusten, einen Zehnlitereimer mit Vaseline, einen großen Sack mit 10 Kilo Talkum. Als absoluter Hammer stellte sich ein ziemlich großes Heizkissen heraus, ein Mädel registrierte gleich, dass es sich dabei um ein neuwertiges beheizbares Vibratorkissen handelte…
Aus der Wohnung nahm ich lediglich einen Schaukelstuhl, einen Vijo-Rekorder, einige Stehrümchen und natürlich zwei kleine Koffer nebst der Papiere mit, welche in der gleichen Nacht, in Berlin, sorgfältig gesichtet wurden.
Wieder alles entsprechend verstaut, liegen die beiden Teile, seit 23 Jahren ohne weitere Betrachtung, sogar griffbereit herum,
Bevor die Räumung begann, suchte ich noch unwahrscheinlich viele Bekannte vom Verstorbenen auf. Die Tips gab es von Nachbarn, dem Hausmeister, aus einem Büro der Volkssolidarität, wo er als Ehrenamtler werkelte und sämtlichen Papierkram für andere Leute erledigte…
Anhand der Auskünfte und den Puzzles an Papieren, wurden die vormaligen Infos von meinem Nachbarn und Arbeitskollege noch unendlich getoppt.
Der Schläger, Streithammel und Säufer galt als sehr feinfühliger und respektvoller Mann, richtig Gentlemanlike, wie eine alte Dame, während des Mittagsmahls im Seniorenklub der Volkssolidarität, bemerkte.
Niemals hätte ihn jemand angetrunken gesehenen, dass er aus der Rolle fiel…
Einige sehr liebevoll geschrieben Karten an ihn gerichtet, zu den Feiertage und aus dem Urlaub, sind auch unter den Papieren…
Der vollkommen unpolitische Mann, sprang kurz nach dem Krieg sogar über seinen lauwarmen Schatten, angelte sich die entsprechende Frau und fuhr auf ihrer Pisse Kahn. Gründete im Ort die FDJ und den FDGB, arbeite dort entsprechend mit. Was sich mächtig lohnte, bekam er doch Anfang 1950, als Chef der Konsumgenossenschaft, der Kreise Eisleben, Hettstedt und SGH, etwas über 900 Mark ausgezahlt.
Aus seinem SV-Buch geht hervor, zeitweise verdiente er ein Schweinegeld, dann der Absturz, später wieder ganz oben, ein ewiges rauf und runter. Wenn ich mich richtig erinnere, ohne irgendwelche Fehltage dazwischen.
Merkwürdig ist jene Geschichte, seine belegte Zeit im Westen, die im Arbeitsbuch nicht auftaucht. Die Mitgliedsbeiträge von Gewerkschaft und Partei sind lückenlos geklebt, hinzu kommen zwei Urkunden zur vierzigjährigen Mitgliedschaft in beiden Vereinen…
Meine Freundin fand in einem Briefumschlag einen kleinen Zettel den sie vorlas, irgendwas in jene Richtung ward da notiert: Was Klaus und Karin machen, weiß ich nicht
Da waren von ihm doch mal Deprieinheiten zu bemerken…
Bisschen merkwürdig fand ich den Satz schon, aber mehr auch nicht.
Meine Verachtung stand über seinen Worten!
Warum er zu den entsprechenden Zeiten zu faul zum Wixen war, wollte mir nie in die Birne.
Es war doch wirklich nicht nötig, Gören anzurühren, nur wegen der ideologischen Trittbrettfahrerei!
Tröstend fand ich nach stundenlanger Sondierung, die abschließenden Worte von Madame auch nicht gerade, dein Vater muss ein ganz verrückter Hund und Stehaufmännchen gewesen sein, wie er oftmals herum trickste und dies als Schwuler. Vielleicht hättest du doch früher mal Anstalten mach sollen, ihn aufzutreiben.
Danke, der Gedanke kam mir auch schon, allerdings in eine ganz andere Richtung, was ich aber nicht verlauten ließ! Hatte er doch für seinen Lieblingsschmusi im Knast, kurz vor seinem Tod, die Summer ist mir momentan nicht ganz geläufig, von über 20 oder 30 Mille abgedrückt…

Fußnote: In dem Text kommt auch etwas von dem liebreizenden Muttertier vor!

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