Eine Geste ohne Worte

Der Artikel von Agnieszka Hreczuk auf Seite 3, des heutigen „TAGESSPITZELs“, betrifft ja mehr Beobachtungen und Empfindungen eines polnischen Augenzeugen, die von Mieczyslaw Tomala, der in jenen Tagen als Dolmetscher fungierte. Wobei Willis Kniefall nie als Mittel zum Zweck verkommt.
Schade, dass die junge Frau an einer entscheidenden Stelle klitterte: …“Doch während die Geste in Deutschland für große Aufregung sorgte, blieben die Polen zurückhaltend…“ Die gleichgeschaltenen Medien in der Zone allerdings auch.
Wenn man dieser Tage nur von einem Aufschrei seitens der CDU/CSU spricht, wird es der damaligen Situation nicht gerecht. 25 Jahre nach der „bedingungslosen Kapitulation“ – nicht Befreiung – waren schließlich fast alle Regierungsmitglieder noch lebhaft von der NS-Zeit geprägt. Bei weitem nicht nur als kleine Rädchen des Systems, es befanden sich auch eherne Schwungräder der Bewegung darunter. Die nun als demokratisch geprägte Wendehälse, der 1. Generation dieser Spezies im noch geteilten Restreich, gezwungener Maßen etwas zurückhaltender agierten, schon wegen der neuen Verbündeten. Wohlwissend, dass bei ihnen mittlerweile auch lange die Erkenntnis einherging, mit dem Deutschen Reich ein falsches Schwein geschlachtet zuhaben.
Angehörige zahlreicher Vertriebenenverbände waren in dieser Situation weniger zimperlich, da flippten sämtliche Funktionäre richtiggehend aus. Gemeinsam mit rechten Gleichgesinnten traten sie eine Schmutzkampagne los, welche in ihrer respektlosen Art grenzenlos schien. Da wurde sogar seine uneheliche Geburt mit verwurstet und jene Tatsache, das er seinen Kampfnamen aus Zeiten im Untergrund beibehalten hatte.
Walter Scheel in einem heutigen Interview bei „WELTONLINE“:
„Die Stimmung war unglaublich emotionalisiert. Was haben wir damals für Schläge einstecken müssen. Morddrohungen, Anfeindungen und schlimmste Vorwürfe waren plötzlich Normalität. Gut, dass wir im Nachhinein in unserer Politik bestärkt und bestätigt wurden…“

Nebenfußnote:
Was das Dritte Reich auf dem Gebiet der Zone betraf, wurde uns in der Grundschule bereits vermittelt, alle Nazis haben sich im Laufe der Jahre in den Westen verkrümelt.
Dabei konnte fast jeder irgendwann erleben, wie Ältere zu bestimmten Anlässen, ab einem gewissen Alkoholpegel und den entsprechenden Stichworten, zu Nazis mutierten. Jener Wandel machte auch vor Genossen der Dreigrammbewegung nicht halt.
Beiläufig bekam ich so alle textlichen Highlights aus brauner Ära mit und hätte jederzeit einstimmen können…
Damals war für einige von uns während der Luftkämpfe am Stammtisch klar, den Willi knipsen sie ab, jetzt war er zu weit gegangen. Zumal Monate vorher in Erfurt, von ihm bereits unerfüllbare Begehrlichkeiten geweckt wurden.

Was ließ der Stahlemann mit seinem angefrorenen Lächeln heute bei „BILD“ ab?
„Ich war damals 11 Jahre, als kleiner Junge hat mich das sehr bewegt, obwohl ich die ganze Aufregung nicht verstanden habe.“ Sein Vater, ein Sozialdemokrat, und seine Mutter, CDU-Wählerin, seien über die Politik Brandts nicht einig gewesen…
Vermutlich ist in den letzten 40 Jahren kein großer Wandel in ihm vorgegangen. Es scheinen ihn auch heute noch viele Dinge sehr zu bewegen, und bei näherer Betrachtung versteht er „die ganze Aufregung nicht.“
Wie soll ich den letzten Satz nun wieder interpretiere?
Papa hat die Politik von Willi Brandt nicht akzeptieren können? Dann aber Mama, deshalb trat er als folgsames Muttersöhnchen der CDU bei.
Nebenbei finde ich es von ihm respektlos, wenn er meint Kraft seines Amtes in irgendeiner Form seinem Drang Ausdruck zu verleihen, etwas zu der Geste im Einzelnen und zu Willi im Besonderen abzulassen.
So etwas Aufgesetztes brauchen wir nun wirklich nicht.
Hier erinnere ich noch an eine Situation die ihm besser zu Gesicht steht, weil er scheinbar nicht in der Lage ist, zwischen Moral und Gesetz unmissverständlich zu unterscheiden.

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