Es gibt immer noch Zeitgenossen, die verbinden mit Georg Kreisler nur seine Aversion gegen Tauben. Mir fielen nach seiner Todesmeldung auf Anhieb drei Sachen ein.
– Zu meiner WG-Zeit verschwanden zwei Vinylscheiben von ihm aus meiner Plattensammlung.
– In den Endachtzigern, ich hockte gerade am Küchentisch und schälte Kartoffeln, als man auf „Radio Multikulti“ mehrere Eintrittskarten anbot. Zufälligerweise lag diese schnurlose Kommunikationsprothese in Reichweite. Ich hatte vorher noch nie probiert auf solche Ansagen hin, irgendwo anzurufen. Weiß nicht was mich ritt, ich tat es und ergatterte zwei Karten für den Abend. Weiß nicht mehr, es war für mich sein dritter oder vierter Auftritt und alle vorangegangenen waren einfach geil. Kreislers Virtuosität und der Gesang waren die eine Seite, hinzu kam sein Schmäh, diese kleinen und großen Geschichten auf denen er seine Lieder auffädelte.
Das Wiener Lästermaul trat in den alten „Wühlmäusen“ auf.
Meine Freundin wollte partout nicht in der ersten Reihe hocken, der anschließende Platzwechsel in die zweite Reihe endete mit einem Eklat. In den vorderen Reihen saß nur älteres, schnieke herausgeputzte Publikum, die kleinbürgerlichen Tussen mit lackierten Larven, dünsteten ihre eingejauchten Wässerchen aus und präsentierten sich Klunker behangen. Obwohl alle nummerierte Karten besaßen, hingen sie bereits lange vorher auf ihren Plätzen. Alles wieder aufstehen, erst die beiden Wechsler raus, anschließend meine Freundin solo in die entgegengesetzte Richtung. Irritiert schaute sie ewig hinter sich, schien mich zu vermissen. Ich war aber bereits über die Sitzlehnen gejumpt und harrte sitzend ihrer. War Madame die Angelegenheit peinlich. Wenn Blicke töten könnten!? Meine gesamte Umgebung hätte mich wie ein Teesieb perforiert…
Dann ging es weiter, nun schoss der Herr frisch und fröhlich anarchistische Pfeile ab, hielt vielen Zuschauern permanent den Spiegel vor und die umhersitzende Schickeria, mit leicht zur Faust geballten Gesichtern, zog teilweise Fressen wie auf einer Beerdigung. Ich hätte mich bepfeifen können, war anfangs der Einzige, der in den vorderen Reihen ausgelassen lachte.
(Im Nachhinein erinnert mich diese Situation an eine Fernsehaufzeichnung aus dem „TIPI“. Als Volker Pisper über die „Gesundheitsreform“ herzog und dabei öfters die Larve von Genossin Ursula Schmidt eingeblendet wurde. Die Dame glotzte herum, als ob sie ganz dringen mal auf den Topf musste, so verbissen schaute sie drein.)
Eigentlich hätten die Skandinavier für Kreislers Mimik einen zusätzlichen Nobelpreis kreieren müssen, so als Ausgleich, wenn sie schon Killer und deren Helfershelfer mit „Friedensnobelpreisen“ überhäuften…
Lustig fand ich die vorangegangenen Worte, als Old Georg einen Bogen schlug, betreffs meines geflochtenen Bartes immer wieder auf mich wies, als er die letzte Zugabe spielte – „Der Blunschli“…
– In den 90ern fuhr ich abends am Tränenpalast vorbei und registrierte, dass Kreisler dort auftrat, die zweite Halbzeit hatte gerade begonnen und jemand vergessen die Eingangstür abzuschließen.
Drinnen saßen zwei junge Frauen an der Garderobe und tranken Kaffee. Natürlich wollte sie mich sofort hinausexpedieren, fing aber an, ihnen die Ohren abzukauen. Schließlich gab eine von ihnen auf: „Nun gehen sie schon rein, sonst verpassen sie noch mehr! Sagen sie aber niemanden, dass wir sie reingelassen haben!“
Hinter dem Vorhang lief ich der nächsten Frau direkt in die Arme, bei ihr ging es aber schneller, obwohl sie mich erst wieder raus schob, dann aber viel Verständnis für mein „Problem“ aufbrachte. Tuschel, tuschel…
Ihr tischte ich auf, dass mich ein fürchterlicher Flattermann peinigte und deshalb zu Beginn noch nicht von der Schüssel kam…
„Was ist denn ein Flattermann?“
Nach meiner kurzen Erklärung konnte sie sich fast nicht mehr einholen und wollte mir sogar noch ein Stuhl besorgen.
„Beim Flattermann handelt es sich um einen Dünnschiss, den man aus einem Meter Entfernung durch ein Nadelöhr kacken kann…“
Nun haben wir Glück, dass in unserer Umgebung gleich zwei gute Kreisler-Interpreten leben:
Wolf Amadeus Fröhling, Klavier und Hans Marquardt, Gitarre.
Habe im Jahr 2007 sogar ihr Duett-Programm in der Kirche von Kampehl aufgenommen und dieses Konzert war großartig.
Wobei Amadeus zwar die Virtuosität seines großen Vorbildes drauf hat, aber Schmäh und Mimik kann er nicht ersetzen.
Die meisten Lieder vom Kreisler kommen mit Gitarrenbegleitung auch sehr gut rüber. Leider singt Hans so manchen Song nur mit saurer Beamtenmine…
Georg Kreisler habe ich immer bewundert, er hat trotz manch widerlicher Erlebnisse seine Betrachtungsweise immer auf den Punkt gebracht, aber nie mit erigiertem Zeigefinger! (Die wurden schließlich zum Spielen gebraucht)
Nun hat er seinen alten Kumpel Charly Chaplin wieder getroffen, allerdings auch den Anstreicher aus Braunau…