Karli Hoffmann, ein Sangerhäuser Original, geht nun auch nicht mehr einkaufen

Vor einigen Wochen erkundigte ich mich bei einem Freund nach dem einen oder anderen Alteingesessenen, zu denen mir in dem Zusammenhang, immer wieder irgendwelche Schnurren einfielen – Karli gehörte dazu – Pferdefuhrunternehmer und Gastwirt der „Schecke Pauli“. Weiß der Deibel, wieso die abgeranzte Kneipe so hieß. Als Grundschüler soff ich da schon und wir spielten dort 17 & 4…
Er war auch einer jener Sorte, die ich irgendwie bewundertet. Sie machten ihr Ding, natürlich gab es da auch so manche Schwierigkeiten mit Flachzangen der Behörden, aber sie wurstelten sich durch, als ob das hirnlose Kommunistenpack ringsherum nicht existierte…
Dachdeckermeister Müller war auch so eine lustige Griebe.
Besagten Handwerker erlebte ich mal, als er die oberste Zecke des Kreises in der „Klemme“ auflaufen ließ, wegen des Kirchen-Chronometers. Deren Zifferblätter im Rahmen einer Dachreparatur  nach dem Brand (1970/71), gleich mitgestrichen wurden.
Wir saßen am frühen Nachmittag in trauter Runde, mein Freund Puffi hätte in dem Fall wieder passend kommentieren können: Wo Klaus gerade hockt, sind wieder mehrere Jahrzehnte Zuchthaus versammelt, als der Dachdecker mit seinem Knecht hereingeschneite. Fluchend ob der Kälte und Feuchtigkeit setzte er sich an unseren Tisch und schmiss gleich eine große Runde, beide wollten an diesem Tag Feierabend machen, zu viel Wind und Nieselregen.
Alle schon gut vorgeglüht, da erkundigte sich jemand mit sehr lauter Stimme, ob hier ein Herr Müller anwesend sei, der gab sofort entsprechende Zeichen. Daraufhin schickte man den neugierigen Frager weg, verbunden mit dem Hinweis, dass ihn jemand gerade noch in „Vetters-Frühstückstube”* sitzen sah. Unser Klüngel quittierten seinen Abgang mit wieherndem Lachen.
Leute, das war der Kutscher UNSERER SED-Kreispflaume*, der fahndet schon seit geraumer Zeit nach mir, ein bisschen Bewegung schadet dem nichts.“
Womit der Dachdecker nicht rechnen konnte, kurz darauf stand der Fahrer wieder im Raum, diesmal aber in Begleitung seines Scheffchens. Der Kreisleiter düste irrig durch die Kneipe und brüllte sofort wie auf dem Kasernenhof los, wurde natürlich von allen Seiten mächtig belegt, ob seines Gekreisches.
Schließlich gewahrte er den Gesuchten.
– Was das denn solle? Er würde die ganze Angelegenheit schon seit Tagen mit Missfallen beobachten, wieder sei auch am heutigen Tag nicht viel geschafft worden, außerdem wäre noch Arbeitszeit.
Dies schien für den Handwerksmeister zu viel.
Ganz ruhig wurde der hektische Genossen darauf aufmerksam gemacht, dass er schließlich nicht auf Stundenbasis rabottete und im Gegensatz zu anderen, seine Arbeiten immer zur Zufriedenheit der Auftraggeber fertigstellte.
Er könnte sich vorstellen mal mit ihm zu tauschen, denn wie andere ihre Arbeit erledigten, so würde er gern mal seinen Urlaub verbringen, außerdem gebe es noch den Arbeitsschutz.
Jeder am Tisch grinsten, dabei flogen die Köpfe immer ruckartig in die Richtung des jeweiligen Sprechers. Es ging ein Weilchen Hin und Her, schließlich sollte Müller mit rauskommen, was er ablehnte, mit Hinweis auf seinen wohlverdienten Feierabend.
Nun drehte der Funktionär nochmals auf, auch wenn für diese Arbeit ein Objektlohn vereinbart sei, müssten doch schließlich irgendwann mal Fortschritte zu sehen sein!
Sie sind ein… Sie müssten mal richtig hinschauen! Mehr als arbeiten geht nicht! Außerdem, was kann ich dafür, wenn der Stundenzeiger mir laufend den Pinsel aus der Hand schlägt.
Nun wurde das darauf einsetzende Chaos urkomisch, da der Angesprochene nicht zu verstehen schien, um was es eigentlich ging. Die Anwesenden klatschten auf ihre Schenkel und den Tisch, dabei kippten Gläser um, einige fielen zu Boden. Der Dachdecker lehnte sich während dessen ganz gelassen zurück, und schaute mit schräg gehaltenem Kopf, unschuldig dreinblickend den großen Parteinik an.
Der glotzte in die Runde und schnallte rein gar nichts.
Sein Fahrer begann ihn am Mantelärmel nach draußen zu zerren.
Schon als beide hinter der Schwingtür den Windfang betraten, gab es in der ganzen Kneipe kein Halten mehr. Nun wollte auch jeder wissen, was an unserem Tisch abgegangen war. Müller, mit hochrotem Kopf, die Narbe unterhalb seiner Stirn glühte, sielte sich im von ihm verzapften Tohuwabohu nebst des höhnischen Gelächters.

Dass solche Stare, wie der abgetretene Genosse, manchmal schwer von Kapee waren, schien in Sangersdorf Tradition zu haben.
Knapp 10 Jahre zurück war dem Parteifreund Tippel, Scheffchen vom Rat des Kreises, ein gigantisches Eigentor gelungen. Dies geschah 1962 im hiesigen Schützenhaus, während einer Protestversammlung, anlässlich der Kubakrise.
Genosse T., der seine Texte sonst immer akkurat ablas und mit leiernder Stimme darbot, zog abschließend bei jenem trauten Zusammensein noch vom Leder. Das erste und einzige Mal, frisch, frei und fröhlich keifte diese Nase euphorisch etwas ins Publikum, seine Faust dabei rhythmisch aufs Rednerpult knallen und losbrüllen waren eins. Kuba den Kubanern und Indien den Indianern!!!”
Anschließend glotzte er noch verständnislos in die Runde, als es vor Lachen niemand mehr auf seinem Stuhl hielt. Jener rote Geistesblitz breitete sich damals wie ein Steppenbrand aus, so lustig waren halt nur große Rhetoriker der Dreigrammbewegung im Mansfelder Land. Sein Sohn musste für den Bonmont vom Alten, jahrelang fürchterlich blechen…

*Vetters Frühstückstube” – weitere berühmte Sangerhäuser Kneipe in der Bahnhofstraße, 10 Min.   von  der “Klemme” entfernt
*SED-Kreispflaume – ugs., 1. Sekretär der SED-Kreisleitung

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