Wenn sich Brigitte nicht vor 35 Jahren für immer verabschiedet hätte, könnte sie heute ihren 76sten Geburtstag begehen.
In einigen Kreisen, in denen ich damals verkehrte, war sie zwar bekannt, aber wegen ihrer Euphorie in Richtung Sozialismus nicht wohlgelitten. Ähnlich drauf war eine Wessibraut (seinerzeit in violetter Latzhose und mit fettigen Haaren), die mir Ende der siebziger „Franziska Linkerhand“ empfahl und es fast ungelesen zurückbekam.
Kurz nach dem ich alles von Klemperer eingezogen hatte (aus Ostzeiten kannte ich nur: -Sprache des „Dritten Reiches“ (Lingua Tertii Imperii), oder so ähnlich), wurden mir 1998 die Tagebücher der Reimann geschenkt.
– Wobei zwischen der Herangehensweise beider, Lichtjahre lagen, denn Klemperer war ein penibeler Beobachter seiner Zeit, aber von außen. Der auch mit sich gnadenlos ins Gericht ging. Haarscharf, sein ganzes Leben lang die verschiedenen Gesellschaftsordnungen analysiert und immer geniale Schlussfolgerungen zog, aber wegen seiner permanenten Feigheit und Eitelkeit, alles nur mit schöngeistiger Manie, still zu Papier brachte – bis zum letzten Satz.
Wobei man seine immer kränkelnde Frau niemals vergessen darf, ohne sie währe dieses Lebenswerk nie machbar gewesen!
Abschließen ein Zitat von Martin Walser:
„Ich kenne keine Mitteilungsart, die uns die Wirklichkeit der Nazi-Diktatur fassbarer machen kann, als es die Prosa Klemperers tut. Nirgends sonst habe ich den Verbrecherstatus der damaligen Machthaber so erleben können wie in den Tagebüchern Klemperers. Wie der staatlich produzierte Hass die einen zur puren Bösartigkeit, andere zur reinen Menschlichkeit motiviert hat. Andere wieder zum Wegschauen.“
Leider hat sich MW nie tiefgründig mit der Zone befasst, denn da kam es anschließend genauso schleichend zum Untergang – heute ist es nicht anders, niemand scheint zu bemerken, wie ganz gemächlich alles wegrutscht…
– Retour zur Reimann. Wobei ich den drei Damen vom Umschlagstext des I. Teils, nicht kommentarlos zustimmen kann, wegen ihrer Sicht der Dinge. Mir ist bekannt, dass viele Mädels gewisse Lebenslagen anders beurteilen.
Wenn Brigitte zeitweise übermütig, dauernd auf der Überholspur das Leben gierig in sich hineinfraß, als Volksdrogenabhängige durch die Botanik bumste – so eine rannte doch nicht der Liebe hinterher!
Solche, die es sich aus Frust oder sonst was, immer nur selber machen, auch verklemmter Monos, können dies natürlich nicht nachvollziehen.
Leute!
Beim Vögeln kann man, trotz HIV, immer noch viele Menschen kennen lernen!
An Band zwei ärgerte mich die Kritik von mr-r auf dem Umschlag. Der war ja als junger Mann ähnlich drauf, wie Christa W. Als beide an der Basis für den Rest ihres Daseins bastelten, hat jeder auf seine Art Freunde und Bekannte verpfiffen. mr-r ließ den polnischen Geheimdienst an seinem Leben teilhaben und C.W. wird die Briefe ihrer „Freundin“ gleich an den Führungsoffizier weitergereicht haben…
Durch Brigitte Reimanns Tagebücher habe ich anschließend so manchen Typen, den sie flach legte, hinterher mit anderen Augen gesehen
Wer etwas aus dieser Zeit erfahren möchte, sollte sich nicht von den 900 Seiten abschrecken lassen. Zum besseren Verständnis für Zonenblindfische, findet man außerdem ihre Ganzkurzbiographie, eine Chronik, Anmerkungen und das Personenverzeichnis.
Habe irgendwann mal die Verfilmung ihrer Biografie (mit Martina Gedeck in der Hauptrolle) in der Glotze gesehen. War auch ganz unterhaltsam.