Nach fast 12 Wochen Einzelhaft bestrafte mich mein Vernehmer zusätzlich und es kam kurz vor Weihnachten eine Flachzange auf meine gute Stube. Der Typ war in meinem Alter, Mitte zwanzig. Vorher hatte ich noch nie jemanden kennengelernt, der unaufhörlich fast nur dummes Zeug plapperte. Leupold verbrachte bereits acht Totensonntage hinter Gittern. Nun standen wieder mehrere an und er ward natürlich bestrebt, die Anzahl seiner kommenden Feiertage etwas zu reduzieren, mit dümmlicher Fragerei an meine Person.
Sein Tagwerk bestand aus Kraftsport, sowie der täglichen Pafferei von zwei chemischen Zigaretten am Fensterschlitz.
Kultig wurden die hergestellt, auf ein Stück Scheißpapier (Ein ganz schönes Privileg im Stasi-Knast, denn draußen war dieses Produkt häufig nur Bückware.) kam ganz dünner Zahnpastabelag und das Blatt wanderte zur Antrocknung in den Toaster – zwischen die Heizkörperrippen. Anschließend etwas zerknüllt, wobei überzählige Creme noch abblätterte, dann wieder locker zusammen gedreht, einer nochmaligen Trocknung unterzogen und schließlich auf Backe geraucht. Das dabei entstehende rauchige Aroma war zwischen Schweißmauken und verbrannten Lumpen angesiedelt, schlimmer als „KARO“!
Zwei Tage später gesellte sich noch ein Mitbewohner zu uns, der vorher als Chemiker in Leuna arbeitete, nun aber wegen versuchter R-Flucht hier herumhing. Dr. Z. war ja von Berufswegen einiges gewohnt, aber das war auch ihm zu viel.
Am Heiligen Abend erhielt ich meine restlichen 160 Deputat-Zigaretten aus Budapester Knasttagen – furztrockene KOSSUTH, teilte sie zwischen dem jungen BVer (Berufsverbrecher) und mir auf, dann legten wir los.
Den ganzen Tag hing einer von uns am Fenster, was aber nicht viel brachte in unserem Appartement von 10 Quadratmetern…
An jenem Abend bekam ich, als Dank für die Kippenspende, fast noch eine aufs Maul.
Seit Tagen animierte uns Leupold zu irgendwelchen Fragespielen. (Ab der Mitt-80er kam ähnlicher Mist in die privaten Fernsehanstalten, zur Erbauung der Zuschauer.)
Eigentlich war Poldi ein hohles Brot, aber sein Wissen in jener Richtung bewunderten wir. Da soll noch mal jemand sagen, man verblödete im humanen sozialistischen Strafvollzug.
Kurz vor der Nachtruhe musste noch die Lösung bekannt gegeben werden.
Als die Antwort erfolgte, sie betraf ein Verkehrsmittel, lachte Dr. Z. erstmalig auf und der andere sprang mir an die Gurgel, da er sich verscheißert vorkam.
In den vergangenen Stunden waren beide wirklich alles durchgegangen, was man sich nur so vorstellen konnte…
Ich meinte eine Lümmeltüte!
In den paar Tagen entwickelte Leo zeitweise solche Aggressivität, dass man richtig Bammel bekam…
Anfang Januar schien Leu seinen Auftrag erfüllt zuhaben und verschwand aus der Zelle.
Den Vor- und Nachname behielt ich wegen seines Seltenheitwertes.
Nach dem Weggang jener Flachzange kamen Frage- und Antwortspiele nie wieder aufs Trapez.
Mit dem Neuzugang unterhielt ich mich dann nur noch über naturwissenschaftliche Themen, Kunst und Literatur.
Dann tauchte Leopold H. in „ANTES & CO“ wieder auf – zehn Jahre später.
Zufälligerweise lebte eine Bekannte in Fellbach und sie besorgte mir prompt jene Photokopien, wo alle herstammten, ist mir nicht bekannt.
Alle Nachnamen der handelnden Gangster wurden getilgt. Es ist ja möglich, dass einer der Beteiligten aus seiner gewohnten Bahn flog und seinen Lebensweg nun ganz anders bewerkstelligte.
Die zugehörigen Bilder habe ich nicht mit einbezogen.
Mein Spezi aus alten Tagen im Hallenser “Roten Ochsen” war der Killer!
Was Sontheimer und Vorfelder über die demokratischen und kriminellen Gepflogenheiten aus der Berliner Ober- sowie Unterwelt auf 175 Seiten präsentierten, dazu setzte Kunzel, in dieser Zeit, mit wenigen Sätzen mehrere I-PUNKTE, sie betrafen allerdings auch noch andere Skandale!
Es sind Auszüge aus seinem Interview in der Schülerzeitung (TAZ)
„Hier wird politische Herrschaft ausgeübt durch eine kriminelle Vereinigung. Der Gegenangriff des Senats im Kriminalgericht Moabit endete am vergangenen Montag mit einem fulminanten Eigentor: Kunzelmann und drei taz Redakteure wurden freigesprochen vom Vorwurf der Verunglimpfung des Staates, ihre Kennzeichnung des Senats einschließlich des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen als einer „kriminellen Vereinigung” bleibt straflos.
Kunzelmann, ehemaliger Abgeordneter der Alternativen Liste (AL) und nach eigener Definition „Aktionspolitologe”, hatte im März 1986 in einem Gespräch mit taz-Redakteuren seiner Empörung über die Berliner Korruptionsskandale freien Lauf gelassen: „Es hat niemand Mut, in dieser Stadt oder im Abgeordnetenhaus, klipp und klar zu sagen, dass man es hier mit Kriminellen zu tun hat!” Der Senat, seinerzeit mitten in der – vergeblichen – Verteidigungsschlacht um drei inzwischen zurückgetretene, in die Skandale verstrickte Senatoren, nahm die Provokation an. Der Justiz Senator erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft „mit der Bitte um Bericht”.
Das Büchlein fiel damals sofort der Zensur anheim und musste unbedingt korrigiert werde. In sorgsamer Kleinarbeit wurden mehrere Stellen geschwärzt, da sich gewisse Leute angepisst fühlten…
Mein Exemplar ist noch jungfräulich – dies verdankte ich der sexuellen Notgemeinschaft mit einer Buchhändlerin.
Nun soll mir aber niemand erzählen, dass es irgendwann im zusammengewürfelten Bundeshauptdorf zu einschneidenden Veränderungen kam, lediglich die Ebenen haben sich etwas verschoben. Alsbald wechselte auch ewig die farbliche Brühe im demokraturischen Regierungslager, der Rest läuft nun etwas diskreter ab. Man ist ja schließlich lernfähig!
Der geneigte Leser älteren Baujahres wird sich nach der Lektüre dieses Büchleins an so manche Figur erinnern können, die später zu hohen Würden gereifte, irgendwann abstürzte, trotzdem heute in der Presse Kolumnen verzapft und sich immer noch selbstherrlich in Talkshows vor den Kameras sulen darf…
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