Archiv für den Tag: 16. August 2008

EINE SCHEISSWETTE – Sommer ’77

Betagte Berliner kann man in der ganzen Welt daran erkennen, dass sie bei irgendwelchen Motorengeräusche über sich, ruck­artig nach oben schauen, weil schlagartig Kindheitserinnerungen aufblitzen – die an abgeworfene Kaugummis der Rosinen­bomber. Dieses Phänomen ging in Fachkreisen, als das so genannte Blockade-Syndrom ein. Der jüngere, oder Neuberliner, ist überall an seinem gesenkten Haupt und einem merkwürdig tänzelnden Schritt als solcher auszumachen. Nicht etwa, weil er depressiver daherkommt als andere Zeitgenossen, nein, weiß Gott nicht. Schuld daran, ist einzig die überall auf den Fußwegen, in unterschiedlichster Konsistenz anzutreffende Hundescheiße seiner Heimatstadt. Manchmal dünn, dafür nicht so hoch, aber sehr breit, in kleinen oder mächtigen Haufen. Vereinzelt allerdings in derlei Ausmaßen, dass ich schon manchmal die Vermutung hegte, dort habe sich gerade ein Dino vollständig entleert. Hübsch anzusehen sind die platt gefahrenen Häufchen mit den unterschiedlichsten Mustern von Fahrradreifen oder Schuhprofilen. Es gelang mir im alten Jahrtausend, vor meiner Stammkneipe, als gerade die Kas­tanien blühten, ein besonders schön aussehendes Exemplar vor die Linse zu bekommen. Auch so ein Dinoschiss, kunstvoll platziert, wie frisch gepresst aus dem Sahnebeutel eines Konditormeisters, besetzt mit rotweißen Blütenkelchen, sah der Haufen aus wie die Krone einer Sachertorte. – Erinnern möchte ich hier noch an einen künstlerisch veranlagten Typ. In den achtziger Jahren markierte er auf dem sehr breiten Gehsteig vor dem Schloss Charlottenburg Hundescheißhaufen. Im jungfräulichen Schnee umrahmte der Popartist mit roter Far­be aus einer Spraydose ringförmig die Verewigungen der lieben Vierbeiner und setzte, wie es sonst nur Bergsteiger zu tun pflegten, auf den Top kleine Fähnchen, die an sich der Gourmet nur zweckentfremdet in Käsehäppchen gepiekst vorfindet. Keines seiner Objekte landete gefroren in einer Galerie. Im Gegenteil, da es sich bei der Farbe um Kunstharzlack handelte, gab es wegen Umweltverschmutzung ein paar Hundert Mark Strafe… Hier höre ich auf, sonst sagen mir psychologisch vorbelastete Leute noch Tölen­scheißhaufenfetischismus nach, allerdings komme ich letztendlich in der folgen­den Schilderung nicht an diesem Scheißthema vorbei. Bevor diese unsäglich bigotte Troika von Häuptling Silberlocke*(Richard von Weizsäcker, Regierender Bürgermeister), Lummi*(Heinrich Lummer, Innensenator) und Renata Granata*(Hanna Renata Laurien, Schulsenatorin), Anfang der Achtziger, in Berlin das Sagen bekam, gab es so etwas wie eine ung­eschriebene Legalisierung von Shit. Bei einer Razzia mit einer Menge für den Ei­genbedarf hochgezogen, wurde das Zeug zwar beschlagnahmt, und es gab in der Regel ein geringes Bußgeld, sonst passierte aber nichts weiter. In der warmen Jahreszeit begab sich unser Rudel deshalb öfter in Lorettas Garten, an der Lietzenburger und dort zogen wir dann Shutgunmäßig unsere Pfeifchen und Hörnchen durch. Eines Tages ging dort alles auf Kosten von Rocky, einem Photographen aus San Francisco, der monatelang Berlinerisches für einen Bildband schoss. Ausgerüstet mit Cash seines Verlages hielt er uns an besagtem Tag mit Zech und Kiff frei. Auf dem Rückweg in Richtung Zillemarkt gab Achim am Ku-damm, Ecke Bleib­treustrasse noch eine Geschichte zum Besten, die wir beide etliche Wochen vorher, an jener Stelle erlebten. Gegenüber von “Sedlatzeck” befand sich damals eine Restaurant, wo Sommers, auch Rattantische und Gestühl drau­ßen standen. Noch auf dem Mittel­streifen vom größten Touri-Boulevard erblickten wir mehrere schnieke Typen, die dort vor einem Tisch standen, auf einen Sitzenden laut auf Italienisch einschrieen und wie wild gestikulierten. Kurz vor der Kneipe plötzlich sehr lautes Röcheln, und alle der eben noch dort anwesenden spritzten, bis auf einen, nach verschiedenen Richtungen auseinander. Dann sahen wir genau vor uns die Bescherung. Da lag ein ziemlich Dicker, ganz in weiß geklei­det, relativ bequem auf einem dieser Rattansessel und rutsche zuckend langsam zu Boden. Stoned, war er schon ein sehr merkwürdiger Anblick und anfangs sogar noch lustig. Die weit geöffneten Au­gen, aus einem Mundwinkel sickerte ein rotes Rinnsal, seine Hände auf dem fetten Bauch gefaltet und zwischen den Daumen ein Messergriff. Die Klinge stak bis zum Anschlag in der Wampe, alles umrahmt von einem sich schnell vergrößernden Blutfleck. Noch während des Gedankens, dass dieses Rot in dem grellen Licht auf den weißen Klamotten scharf aussah, kam es mir gleichzeitig: Der Typ wird kre­pieren, so wie das Blut aus seinem Wanst quillt. Zu Helfen ist dem nicht mehr! Aus meinen Betrachtungen rissen mich mehrere Leute, die kreischend die Straßenseite wechselten, dann kam, nach einem nochmaligen Zucken des ganzen Körpers die Entspannung. Seine starren, glasigen Augen erinnerten an die einer Kuh. Ich war nah daran zu kotzen, als von Achim kam, “Alter, wenn du jetzt das Gleiche denken solltest wie ich, dann lass uns ruckartig hier abhauen, denn der ist sicher von keinem Taschen­dieb perforiert worden!” Also, Kopf runter und weg. Ein paar hundert Meter weiter hörten wir hinter uns schon “Lalü, lala”. Der Nachmittag schien gelaufen, eben noch vom Lachtürken gepeinigt, nun dieses Erlebnis. ” Mann, Leute, müsst ihr jetzt diesen Scheiß ablassen!” “Ihr seid perverse Säcke!” “Shut up boys! Der schaffen sollte, zu die Kneipe auf seine Händen davonlaufen, well, der kann den ganzen Abend von meine Geld tanken!” Dies hieß, eine Distanz von rund 200 Metern überwinden, von der Ecke Hurfürstendamm bis zum Zillemarkt. Außer Rocky, der seine Kamera zückte, versuchten jetzt alle erst mal an der Hausmauer in die Lotrechte zu kommen. Von uns fünf Leuten schaffte niemand auch nur annähernd mehrere Meter, obwohl jeder behauptete, schon mal weiter gelaufen zu sein. Allerdings war man da jünger und nicht bekifft. Ich muss sagen, allein das Erlebnis, kopfüber an der Wand zu verharren und aus dieser Perspektive die Vorübereilenden zu beobachten, hatte auch was für sich. Bald ging nichts mehr, schließlich benötigte jeder seine Hände, um sich wegen der heillosen Lacherei den Bauch zu halten. Schließlich schlug der Photograf eine erleichterte Variante vor. Zwei sollten die Arme seitlich ausstrecken und ihre Hände jeweils auf die Schulter des anderen legen, so dass eine Brücke entstand, der Läufer dabei seine Beine an diesen Anschlag leh­nen. Bobby war der einzige, der dies noch versuchte, schaffte es aber nur bis kurz vor die Mommsenstraße. Dann kam von Rocky die allerletzte Chance, um ihm ein paar Bier abzuzwacken. Das letzte Stück musste jemand per Schubkarre zurücklegen. Achim war bereit, es mit mir zu versuchen. Er krallte seine Hände seitlich in mei­ne Hosenbeine der Jeans und ab gings. Ich tapste los, dabei allerdings mei­nen Kopf nach hinten gerichtet. Schier in dem Augenblick, als wir den richtigen Rhythmus fanden, glitschte ich mit der rechten Hand aus. “Halt Mann! S c h e i ß e! Schaut euch den Mist an!” Ich voll mit der Flosse in einem sehr weichen Dinoschiss, wobei die zwischen den Gliedern durchgepresste Masse des Haufens, sich über den Fin­gern rasant wieder schloss. Achim versuchte als erster, nach meiner Hand zu schauen. Aber als ich sie in Richtung der Meute nach hinten hielt, ließ er kreischend beide Hufen los und die Zehen knallten auf den Gehsteig, was mich sofort veranlasste vor Schmerzen langzulegen. Zu unserer Gruppe gesellten sich jede Menge Leute, die lachend saudäm­liche Tipps gaben, wie diesem leicht cremig, infernalisch stinkenden Dünnschiss beizukommen sei. Dabei wurde mir mal wieder klar, welch Wunderwerk der Technik so eine Hand darstellte. Nachdem ich kniend, auf einer Strecke von vielleicht zwei Metern, mit den unmöglichsten Verrenkungen der einzelnen Finger an der Kannte des Bordsteins und der Borke vom nächststehenden Baum die Grobreinigung erledigte. Meine Kumpels, alles Kameradenschweine, waren nicht bereit, mir ein Stück Serviette, welches sich ganz unten zerknüllt in meiner rechten Arschtasche befand, rauszufischen. Im nächsten Papierkorb fand ich einige Fet­zen Papier für den nächsten Reinigungsvorgang. Allerdings kam mir das Gefühl, je mehr ich rieb, umso standhafter hingen die feinen Reste in den Poren. Nun blieb nichts anderes übrig, als die Hand weit von mir zu spreizen und sofort in der Kneipe die Toilette aufzusuchen. In der Pinte wusste bereits jeder, was mir widerfahren war. Nach einer flehendlichen Bitte erhielt ich vom Zapfer alle möglichen Reini­gungsmittel. Meine Pfote, anschließend zwar rein äußerlich sauber, stank nun noch schlimmer. Der Geruch, den es zu entfernen galt, schlug auch nach mehreren Waschversuchen immer wieder durch. Nun beschloss ich die Kantgaragen aufzusuchen, um mich nach etwas lösmittelhaltigem Zeug umzuschauen. Vor dem Tresen rief mir der Zapfer zu, “los Alter fang!”, im Flug kaschte ich ein Tütchen, “Wenn das nicht hilft, diese kleinen rosa Lutschsteinchen vom Pissbecken, dann bekommst du den Gestank auch mit Benzin nicht weg!” Cognac gab mir noch ein Küchenmes­ser und den Ratschlag, damit im Waschbecken einen Stein zu zerschaben. Was ich auch tat und mit Erfolg gekrönt wurde, zwar mit leichten Hudeleien verbunden, denn die Hände und Unterarme begannen sich schmerzhaft zu röten, au­ßerdem stanken sie nun infernalisch nach Industrieparfüm. Deshalb konnte ich an diesem Abend auch nicht mehr rauchen. Am nächsten Nachmittag musste ich zum alten Schlockermann. Der wollte sofort einen Allergietest veranstalten, wozu ich aber keine Lust verspürte. Also erzählte ich dem Doc wahrheitsgemäß den Hergang. Aus seinem Fundus erhielt ich eine Salbe und für mehrere Tage einen gelben Urlaubsschein. Versuche, mich auf den Händen fortzubewegen, habe ich natürlich aufgegeben.