Heute jährt sich zum 55sten mal jener merkwürdige Tag, der den meisten Deutschen sowieso immer kalt an ihrem verlängerten Rücken vorbei ging.
Den Wessi interessierte nur die bezahlte freie Zeit, mit der sich oft ein verlängertes Wochenende rausschinden ließ.
Ossis bemerkten in der Regel nur etwas, wenn sie als Angehörige der Organe ihren verantwortlichen Dienst schoben, bei der Truppe galt dann auch erhöhte Alarmbereitschaft und dies drei Tage lang.
Viele meiner Westberliner Bekannten machten an diesem Tag rüber zum Schoppen oder gingen dort in die relativ leeren Museen.
Damals legten Bonner Politiker schon morgens ihre Betroffenheitslarven an, flogen in die ehemalige Reichshauptstadt, defilierten um die Mittagszeit zu irgendeinem Hinkelstein, fummelten an den Schleifen gestapelter Kränze herum, murmelten anschließend einige nichtssagende Worte und düsten zurück.
In den tiefsten Kalten Kriegszeiten gingen den Angehörigen des sowjetzonalen Ulbricht-Regimes und deren Nachfolger, diese Zeremonie mächtig auf ihre Nüsse. Was dann jeder Transitreisende sofort zu spüren bekam, mit allen seinen entzückenden Schikanen, die jeden Ritt durch den Korridor so angenehm machten.
Gut, das ist alles Schnee von gestern, aber die Larven sind identisch geblieben…
Dabei bedeutet Traditionspflege – Die Flamme erhalten und nicht die Asche anbeten…
In diesem Zusammenhang erinnere ich an einen 17. Juno, wie er mir in Erinnerung geblieben ist. (1982 niedergeschrieben)
Am Freitag, den 17. Juni 1966 in Warnemünde, flimmerte auf dem Warnow-Werftgelände, den ehemaligen Heinkel-Flugzeugwerken, alles vor Hitze.
An jenem Tag sollte ein 10 000 Tonner für die Sowjetunion zu Wasser gelassen werden.
Wie während eines Stapellaufes üblich, durften alle produktionsmäßig abkömmlichen Leutchen, daran Teil nehmen. Außer den Zweineunundvierzigern vom werfteigenen Arbeitslager, die mussten zu Hause bleiben.
Aus irgendwelchen Gründen herrschte auf der Helling merkwürdige Betriebsamkeit. Zeitlich war alles schon aus dem Ruder gelaufen, als dann auch noch die anwesenden Ehrengäste von der Tribüne am Bug des Schiffes stiegen, wurde es spannend.
“Logisch, bei der Hitze gehen die Stare erst mal was Saufen!”
Nun tauchten laufend neue Trupps auf, hauptsächlich Weißkittel, um das Gleitmittel auf der ins Wasser führende Holzbahn für den Schlitten mit dem hoch aufgereckten Schiffskörper zu überprüfen.
Derweil ließen wir uns in der Nähe auf einen Teerdach in der Sonne brutzeln und beobachteten interessiert das Geschehen. Öfters begab sich jemand nach unten, um neue Informationen zu erheischen.
Experten waren zu dem Schluss gelangt, den Stapellauf abzublasen, da sich die Schmierseife auf der Bahn hitzebedingt zu sehr verflüssigt hatte. Während die Lehrausbilder begannen ihre Schäfchen einzusammeln, sahen wir etwas weiter weg gestikulierend Grüppchen, gekleidet in weiß, blau und dazwischen Jungs im modischen Schick aus Dederonzwirn*.
Schon auf halben Weg in die Lehrwerkstatt hieß es, der Stapellauf findet doch statt, also retour.
Nun kam jenes Gerücht auf, dass für den heutigen Tag Aktionen geplant seien.
Kaum wieder auf dem Dach, begann die eigentliche Zeremonie.
„Blah, blah.., die unverbrüchliche Freundschaft beider Völker.., blah, blah.., germano sowjetskaja druschba.., wünschen allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel! Gute Fahrt!“
Splitternd krachte die Sektpulle an den Stahl.
Das Kommando: “Stopper los!” ging im Getöse der sowjetischen Hymne unter.
– Nichts, rein gar nichts, tat sich, das tonnenschwere Stahlskelett blieb stehen.
Auf einmal Totenstille als die Musiker der Roten Armee ihren Hit nicht gerade profimäßig beendeten.
Schlagartiges Gewusel setzte ein. Überall ertönten Schreie, gleichzeitig zogen jede Menge Leute Kameras und schossen wie wild in der Gegend herum.
Wieder traten die Lehrausbilder in Aktion, was uns nicht die Bohne interessierte, denn laut Statuten war ein Stapellauf erst beendet, wenn der Kahn auf dem Wasser dümpelte. Wie im Kino spielten sich die wichtigen Dinge vor uns ab.
Es entstanden zwei Fraktionen, eine entschied sich für Hydraulikpressen, welche am Bug angesetzt werden sollten, um dem Dampfer ins rutschen zu bringen. Die anderen meinten, es wäre das Beste, das Teil gleich mit mehreren Schleppern in die Fahrrinne zuzerren.
Plötzlich setzte sich das riesige Ungetüm ächzend in Bewegung, aus hunderten Kehlen ertönte ein freudiger Aufschrei, um im gleichen Augenblick zu verstummen, das Teil war wieder zum Stillstand gekommen.
Jemand begann zu klatschen, in dieser Situation gab es nichts Frevelhafteres. Als daraufhin blitzschnell mehre Kameras zu klacken begannen, erfolgten überall Beifallsbekundungen, egal wo man hinschaute.
Affenartig wurden am Bug zwei Hydraulikpressen in Stellung gebracht, mit deren Hilfe es gelang den Kahn unter großem Hallo in Bewegung zu setzen. Allerdings blieb der Schlitten auf den letzten Metern stehen. Dies bedeutete für den Dampfer nichts gutes, weil er mit seinem Arsch schon im Wasser schwamm und der Bug noch auf dem Land fest hing, sich dadurch einer länger dauernden Knicklastigkeit aussetzte, die dazu führen konnte, den Schiffsrohbau einfach nur noch zu verschrotten…
Anschließend wurde die gesamte Werft vom Betriebsschutz und den Vopos, abgeriegelt, weiterhin alle unmittelbar für den Stapellauf Verantwortlichen hopp genommen*. Logischerweise musste es sich bei dem verpatzten Akt um Sabotage handeln!
Dabei hatte lediglich einer der vier Hauptfeinde* am Aufbaus des Sozialismus, der Sommer, zugeschlagen.
Um im Geschäft zu bleiben, setzten die Freunde einen Termin, bis zu welchem Zeitpunkt der Kahn im Wasser liegen musste.
Die Frist wurde eingehalten.
Das Schiff wurde später mit gewaltigen Flaschenzügen fit gemacht, wobei einige der Rollen auf dem Ponton lagen, welcher sich am Heck vertäut befand und die anderen lag auf der Sandbank gegenüber der Helling in der Warnow.
Ob es stimmt weiß ich nicht, es wurde aber später gemunkelt, dass die Sowjets den 10 000-Tonner Kuba als Geschenk offerierten.
*DeDeRon – eine in der DDR entwickelte Kunstfaser – Nylon. Um dies weltmarktmäßig zu unterstreichen gab man jenem Zwirn den Namen DDR mit der Endung on. In der gesamten Zone liefen oft hauptamtliche Stasis in Zivil, unauffällig in graublauen Klamotten aus jenem Zwirn herum.
*hopp genommen – ugs. verhaftet – DDR-Behördendeutsch: den Organen zugeführt
* vier Hauptfeinde des Sozialismus – ganz allter Zonenwitz – er meint den Frühling, Sommer, Herbst und Winter
*Tschuldigung, die Frage von Micha ist berechtig: Was ist ein Zweineunundvierziger?
Ein Kunde der nach § 249 des StGB der DDR zur Arbeitserziehung im Humanen Sozialistischen Stafvollzug seine Zeit absaß. (Siehe meine Wenigkeit an! Mir hatten sie ihn zusätzlich auch noch aufgebrummt. Weil ich mich auf meinem etwas länger anhaltenden illegalen Fluchtversuch, durch mehrere sozialistische Länder, den Zugriffen der staatlichen Organe der DDR entzogen hatte…) Mindeststrafe: Zwei Totensonntage. Diese Arbeitslager waren in der ganzen Zone verteilt – gearbeitet wurde in den Jahren unter ganz ekelhaften Bedingungen.
Im Wessiland kamen die gleichen Bürokraten, die verantworlich zeichneten für ähnliche Lager im III. Reich, plötzlich auf die Idee mit den Gastarbeitern. In Wolfsburg findet man eine Feigenblatt-Gedenkstätte zu dieser Problematik.
Nach langem Suchen habe ich endlich die “Erschaffung der Welt auf Russisch” gefunden.
Radio Jerewan-Witze und Ulbrichtwitze habe ich einige Dutzend noch auf Lager.
Wunderbar HELCB
Der Sächsin Kerstin Decker merkt man, nach fast 20 Jahren, immer noch ihre Trotzossimentalität an. Ich weiß nicht wann und über welches Thema sie als Philosophin promovierte. Wer sich aber in der Zone an Philosophie versuchte, war schon mächtig schräg drauf.
Es ist bezeichnend, dass sie beim TAGESSPITZEL, dieser Senatspostille schafft, sich aber gleichzeitig als Kolumnistin der Schülerzeitung verkauft. Aber dort konnten Renegaten schon immer ihre Brötchen verdienen. Da fällt mir z. B. der Kumpel ein, der seine Genossen vom 2. Juni bei der Stasi verpfiff und bei dieser Postille mit offenen Armen empfangen wurde…
Zu einem anderen kubanischen 10000 Tonner aus Zonenproduktion, der „Sierra Maestra“, die 1965/66 aus Yokohama kommend, zwecks Garantieleistungen auf besagter Werft lag, muß ich mal mein Archiv bemühen. Durch Geschäftsbeziehungen mit Seeleuten dieses Dampfers landete ich damals fast im Knast…
Achso, der Paragraph, alles klar.
Von wegen 10000 Tonner für Kuba – zufälligerweise bin ich noch über den Tagesspitzel Artikel hier vom Freitag gestolpert. Total sozialistisch verklärt, soll uns anscheinend erklären, wo die wahren Helden der Arbeit gelebt haben: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite;art705,2550712
Interessante Begebenheit, Aber fielleicht könntest du mir als unwissenden “feiertags”-beraubten Wessi bitte noch erklären, was Zweineunundvierziger bedeutet?