Am DONNERSTAG, 10. DEZEMBER 2015, gab es in der Mitteldeutschen Zeitung den folgenden Artikel von Andreas Montag: Maulkorb bitte!
Hier der Text:
Wie einem plappernde Reisegefährten den letzten Nerv rauben können.
Bahnfahren könnte so schön sein. Wenn bloß die Reisenden nicht wären. Gleiches muss man leider auch aus Bussen und Stadtbahnen vermelden – überall herrscht das gleiche betrübliche Bild. Oder besser: Die gleiche Tonlage. Es wird telefoniert, bis die Smartphones glühen. Und mit dem Sitznachbarn gequasselt, dass dem unfreiwilligen Zuhörer bald die Schädeldecke hochgeht.
So geschehen gestern morgen, im ICE von Rostock nach München. Als ich am Berliner Bahnhof Gesundbrunnen einstieg, war noch alles gut. Es regnete zwar, aber die Bahn war trotzdem pünktlich. Ich fand einen netten Platz, alles schien bestens. Am Hauptbahnhof der Hauptstadt, der nächsten Station, erfreute mich das englische Geknödel des Zugbegleiters, der den dort Aussteigenden ein herzliches „Ssänk Ju for tschuhsing de Deutsche Bahn“ für ihr weiteres Leben mitgab. Wunderbar. Bis zum Halt in Berlin-Südkreuz. Dort enterte ein offensichtlich aus dem Süddeutschen stammender Mann den Waggon und ließ sich hinter mir nieder – neben eine ältere Dame, die von Berlin nach Weimar fahren wollte.
Das war schnell geklärt.
Dann aber öffnete der Herr sein volles Herz: Vom Wetter und der falschen Kleidung ging es zur politischen Lage. Auch der Wohnungs- und Immobilienmarkt kam zur Sprache – bis hin zu Mietschuldnern, die man am besten früh um sechs aus dem Bett holen sollte, und sei es in der Unterhose.
Es hörte bis Halle nicht auf. Liebe Deutsche Bahn, kann man nicht eine Maulkorbpflicht für Reisende erlassen? Bitte!
Beginne mal mit einem Erlebnis vom 1. November.
Wir waren in Potsdam wegen des „Holländischen Stoffmarktes“ und radelten anschließend nach Berlin zurück – allerdings nur bis zur S-Bahn Wannsee. Die Scheffin wollte den „Heiligen See“ noch umrunden, anschließend war der berühmte Biergarten von Klein Glienicke als Treffpunkt auserkoren. OK, ich wollte stattdessen in der Garage ein Kaffee schlürfen. Massenhaft noch Platz in der herrlichen Sonnen, kommt ein Typ an und fragt, ob er sich zu mir an den Tisch setzen könnte. „Klar, kein Problem! Du darfst aber nicht anfangen und dir mit deiner Kommunikationsprothese einen runter zu holen!“
„Würde mir nie einfallen!“ kam lachend von ihm. Anschließend quatschten wir noch fast eine Stunde, dann erfolgte seinerseits die Frage: „Hast du denn überhaupt ein Handy?“
„Natürlich, das Teil benutze aber nur ich! Langsam haben es alle Freunde und Bekannten geschnallt, dass nur von mir aus gesendet wird, wenn es unbedingt notwendig ist. Alle paar Wochen schalte ich dann mal morgens im Café die Möhre an, weil trotzdem immer mal wieder jemand versucht, mich zu erreichen…“
Letztens fuhr ich das erste Mal mit einem Fernbus nach Stuttgart, dass man dort eingepfercht herumhängt wie in einer 747, ist der Preis für den billigen Trip, da kann man auch nicht meckern.
Aber!
Kurz vor dem Einstieg kennt mich dann mein Weib nicht mehr, hockt aber genauso wie in der Bahn immer ganz in meiner Nähe, da sie an meiner Art partizipiert.
Es geschah, wie es kommen musste.
Kaum sitzen die mitteilungsbedürftigen Flachzangen, schon wird das kleine Teil angeworfen. Mein erster Einwand ist ewig, ob die Leute nicht wesentlich lauter sprechen können, da wir alle auch Interesse an ihren verbalen Dünnschiss hätten. Zwei Leute beendeten darauf sofort ihr Gespräch. Bis Nürnberg war in der unmittelbaren Umgebung totale Ruhe. Dann stieg so ein junger Knabe zu, der den ganzen Gang erst ablatschte, dann hinten kehrtmachte und sich neben einer hübschen Schnecke platzierte, fast auf gleicher Höhe neben mir. Der Wuschelkopf erkundigte sich übertrieben höflich nach dem freien Platz, kam aber anschließend nicht sofort auf die Idee, dass jenes Mädel vielleicht ihre Ruhe haben wollte. Dabei hinterließ er bei mir den Eindruck, der hat sicher demnächst sein coming out, dann würden ihn hübsche Schlitzpisser sowieso nicht mehr interessieren – also die Kommunikationsprothese aktiviert. Dabei störte sein dusseliges Gequatschte meine Mucke in den Lauschern. Nach dem zweiten Gespräch tippte ich ihn recht derb am Oberarm an, „Tschuldigung, also mir ist vollkommen wurscht, dass du so laut quatscht. Allerdings tust du mir sehr leid!“
„Weshalb?“
„So jung an Jahren und bereits so heftig chronisch untervögelt, denn sonst würdest du ja nicht so unverschämt laut verbal wichsen! Jetzt darfst du weiter machen!“
Seine attraktive Sitznachbarin grinste dabei sehr belustigt, leicht unverschämt zu mir rüber…
Die nächsten vier Stunden ward Ruhe in meiner Nähe, nebenher bekommen solche Arschgeigen auch noch meine Karte:
Hier Links zu Geschichten vergleichbarer Art, wobei die erstere aber leichte Folgen hatte: Nummer 1 und Nummer 2.
Weiß gar nicht, ob ich jemals den Ausgang im Blog versenkte.
Wochen nach der Anzeige trudelte ein Briefchen vom Amtsgericht ein, nach Zahlung eines Bußgeldes von 200 Euronen käme es zu keinem Prozess. Erhob Einspruch, da ich immer noch darauf setzte, dass der Prozess wegen Geringfügigkeit eingestellt würde – aber Scheibenhonig!
Eine Stunde vor Prozessbeginn taten sich die Securities an mir gütig, was mir einen bannigen Spaß bereitete. Ich bestand nämlich auf die korrekte Aufzeichnung des Inhaltes meiner Weste, wobei sich fast 100 Kleinteile in ihr befanden. Nach 20 Minuten wurde eine Sonderregelung gefunden, der Rest musste nicht mehr hervorgekramt werden, sie bunkerten die ganze Klamotte…
Zur Verhandlung war der kleine Saal recht gut gefüllt, es fand scheinbar eine Demonstration für §§-Lehrlinge und gelangweilten Gaffer statt.
Mann, war der Richter ein Triefsocke, auf die Frage nach dem Familienstand konnte er mit meiner Auskunft nichts anfangen und hakte irritiert nach – „Ich lebe seit geraumer Zeit in einer staatlich sanktionierten Zweierbeziehung.“
Auf meine Antwort, mit welchem Beruf ich mein Lebensunterhalt bestreiten würde, ging er nach einem Fingerzeig der Protokollantin nochmals ein. Ihr fiel die Ungereimtheit auf, denn als Beruf hatte ich Staureporter und politischer Beobachter angegeben.
Nach der Aufklärung, dass es sich bei mir um einen Hausmann handelte, kam nach es nach wenigen Minuten zum Abbruch der Verhandlung, weil das Scheffchen mich darauf aufmerksam machte, dass sämtliche weiteren Kosten meine Gattin blechen müsste – runde 400 Mücken liefen letztendlich auf.
Ein netter Zug war der Verzicht des Zeugengeldes der Klägerin, obwohl der Richter sie dazu drängen wollte. Vor dem Gerichtssaal verabschiedeten wir uns dann per Handschlag von einander, hierbei kam es sogar noch zu einem leichten Eingeständnis von Peinlichkeit ihrerseits und telefonieren wollte sie auch nicht mehr in der Öffentlichkeit…
Fußnote: Zweimal besaß ich Handyblocker, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, geile Dinger! Leider gab der erste bereits nach 14 Tagen seinen Geist auf, er stammte aus Japan und kostet keine 50 EU, machte allerdings nur das D2-Netz platt. Der zweite kam aus indischer Produktion, 80 US$, und sollte alle in Europa vorhandenen Frequenzen stören, nach kurzer Zeit gab es totaleProbleme mit D2. Beide Geräte hatten eine Reichweite von ca. 15 Metern und sie bereiteten mächtig viel Spaß, besonders in der U-Bahn, wenn Rudel von Kids, nach Schulschluss, den Waggon stürmten. Dann wurde das Teil immer mal an und aus gestellt…