Manne Chicago, das Berliner Boogie-Blues-Piano-Harp-Fossil, geht seit dem vergangenen 6. Februar nicht mehr einkaufen!

Gestern erreichte mich die traurige Kunde…
Der Schefff war ja auch von der Sorte, der einen unwahrscheinlichen Blick für Details besaß. Fand es immer wieder gigantisch, wenn er von den alten Zeiten in den Coca-Cola-Sektoren berichtete, den vielen Klubs, Kneipen und Schuppen, in denen amerikanische Musik lief. Er hatte bereits während seiner jungen Jahre, in verschiedensten Westberliner Tanzmusikkapellen das Mississippi-Saxophon populär gemacht. Was zehn Jahre nach Beendigung des letzten Weltkrieges oftmals mit mächtig vielen Ärgernissen einher ging, da der Rock´n Roll ja aus der schwarzen Richtung kam. Für Leute seines Schlages, wo natürlich auch sein Geburtsjahr eine wichtige Rolle spielte, entpuppten sich die drei Westsektoren zu einer Spielwiese, von ungeahnter Kreativität in allen Lebenslagen. Für ihn betraf es die Musik, besonders den Boogie Woogie. Also brachte er sich das Pianospiel selbst bei.
Wer von Rang und Namen mit ihm alles muckte, da konnte man nur staunen! Und in was für siffigen Hütten er auftrat und welche Probleme es für unsereins manchmal gab, wieder ins Zentrum zurückzukommen, aus Gatow, Kladow, den hintersten Winkeln von Spandau oder Rudow. Ecken in denen sich Hase und Fuchs, nicht nur Gute Nacht* sagten, wo an den Wochenenden nächtens kein Bus fuhr, sich keine Droschke hin verirrte… *Auf, auf, sprach der Fuchs zum Hasen, kannst du mir nicht mal einen Blasen?
Oftmals war mir das Glück hold und ich konnte mit Manne, in seiner klapprigen Möhre zurück düsen, darin kam deshalb kaum eine Unterhaltung zustande. Im Winter war das Teil arschkalt, weil die Heizung versagte.
Einige Jahre existierte die Blues Cooperative Berlin, in jenem lockeren Verein mischte auch Manne mit. In den Anfangstagen der UFA-Fabrik gab es von denen mal ein geiles Wochenende mit Blues und seinen vielen Varianten. Irgendwann gingen mir aber verschiedene der Leute mächtig auf den Keks, dies geschah zu Zeiten der Nachrüstungsdebatte, anfangs der 1980er. Da gab es linkslastige Schwachmaten, die ihre Mucken unter der Rubrik: Rock oder Blues gegen Raketen, anboten, entsprechend war natürlich das Publikum…
Legendäre Sonntage fanden in den Mitt80ern statt. Da liefen wir vom S-Bahnhof Wannsee über die Havel nach Heckeshorn das Eis qietschte und knarrte, eisige Kälte um minus 15 Grad herum. In Bolles Bootshaus kam die Vermutung auf, dass man in einer Sardinenbüchse stand. Die Leute drängelten sich in der Hütte, dass stundenweise die Getränke und anschließend die leeren Gläser von allen weitergegeben wurden. Dazwischen aßen Gäste auch noch, die Luft entsprach nach heutigen Vorgeben, mindestens der Smogstufe 70! Kondenswasser lief in Strömen die Scheiben hinab und zwischen drin der total verschwitzte Manne auf seinen Telefonbüchern…
Wenn Manne zwischen den Sets pausierte, gab es in der Regel immer irgendwelche Leute, die er dann an die Tasten ließ. Oftmals gestattete er mir, dass ich seine 12taktiken Blueskammellen mit der Harp zerhacken durfte…
Sehr eigen war er auch! In einem der letzten Monate, wo C. Robinson sein Blues Café in der Körnerstrasse noch betrieb, waren Blues-Gunther und ich die beiden einzigen zahlenden Gäste und der Pianist bestand darauf seinen Job zumachen. Später tauchte kurz Piano-Schulze auf und sie spielten dann sogar noch vierhändig.
In meinem unüberschaubaren Archiv befinden sich noch massenhaft Aufnahmen von allen möglichen Berliner Musikern, anfangs, ab 1985 analog mit einem AIWA-Walkman aufgenommen, später, von 2001 mit dem MD-Player. Dazu gehörten Mannes oftmaligen Auftritte in unserer bescheidenen Wohnung, von 170 Quadratmetern…
Wollte noch zwei Gigs in die TUBE setzen, bin aber momentan zu blöde, sie mit dem Movie Maker entsprechend aufzuarbeiten.
Was ich unbedingt noch erwähnen muss, sind jene vielbeschworen Himmelfahrtstouren, die eigentlich immer unter der Schirmherrschaft von ihm stattfanden, so sollte es gesehen werden!
Gegen 11 Uhr an besagtem Tag trudelten die Massen auf dem S-Bahnhof Waidmannslust ein, dann ging es so um die 6 Kilometer zum Humboldtschlösschen. Die Idee zu jenem Ausflug ward Ende der 1950er, von einer Abiturklasse aus der Taufe gehoben. Alle wollten sich bis zum Lebensende, egal in welche Richtung sie entfleuchten, an diesem Tag dort treffen.
Mittlerweile ist die ehemalige Gruppe doch schon etwas geschrumpft…
Mehrfach beteiligte ich mich an den feuchtfröhlichen Wanderungen.
Am S-Bahnhof wurde gerüstet, auf das Unterteil eines Kinderwagens kam ein 30-Literfäßchen, es wurde angestochen und ab ging´s. Erste Rast auf unserem Weg, war immer bei den Eltern eines der Gründungsmitglieder, die Erbsensuppe und Schmalzstullen kredenzten.
Auf halber Tour wurde das Tegler Fließ mit einem ranzigen Schlauchboot überquert. Dafür ging es quer durch eine sumpfige Wiese, wobei Manne ewig auf die Rufe der entsprechenden Vögel aufmerksam machte. Einer aus der Gruppe musste sich bereitfinden und als erster, die sechs Meter ans andere Ufer paddeln, um anschließend das Gefährt mit den einzelnen Leuten, mit Hilfe einer Leine rüber zu zerren. Als ich mal an der Reihe war, unkte Manne herum, dass schon länger keiner mehr ins Wasser gefallen war, prompt passierte es mir. Hatte mich aber vorsichtshalber der Klamotten entledigt, stak dann aber bis über den Bauch in dem fast stehenden Gewässer, rührte beim Herausklettern natürlich den ekelhaft stinkenden Sumpf mit auf. Der zwanzig Minuten später, auch durch den Einsatz eines Geschirrspülmittels, nicht weichen wollte. Lustig war die Tatsache, dass die Omi, von der ich das Zeug nebst eines Wasserschlauches erhielt, sofort kreischend ihre Mischpoke und die Nachbarschaft zusammenrief…
Nach einer Stunde landeten wir dann immer am Humboldtschlößchen, wurden dort von Familie Heinz empfangen, wobei die Dame des Hause einen Blumenstrauß erhielt und die mitgelaufenen Musiker ein Ständchen gaben. Im Gegenzug gab es vom Hausherrn den Inhalt von zwei Flaschen Fürst Bismarck, weiter ging der Zug anschließend zur Grabstätte des großen Naturforschers. Dort passte Manne wie ein Schießhund auf, dass auch jeder noch einen pisswarmen Schluck Bier in sein Glas erhielt, wobei die restliche Gerstenkaltschale, bereits an eingeschlafene Füße erinnerte.
In Linie harrten wir dann alle an der metallenen Einfriedung. Irgendwer musste einige ergreifende Worte rezitieren, derweil Herr Chicago dazu den Wilhelm Humboldt-Blues intonierte. Einzeln trat jeder währenddessen vor das Grab, andächtiger Blick nach oben in die Unendlichkeit, die Hälfte des Bieres landete mit Todesverachtung im eigenen Schlund, der Rest auf Wilhelms Grab…
Über den hohen Maschendrahtzaun ging es retour zum U-Bahnhof Tegel.
Früher hob seitlich vom Haxenhaus kurzzeitig eine mächtige Drängelei an und in der dortigen Telefonzelle, denn mitten in der Nacht bestand ein alter Kamerad in Australien, der nur all zwei Jahre hier aufschlug, auf den entsprechende Situationsberichte.
Damit war der Tag aber noch nicht abgefressen!
Manne unwahrscheinlich hart im Nehmen, spielte abends immer noch irgendwo, dazu kamen dann auch die Gattinnen der Wandervögel hinzu…

Habe im Netz etwas gestöbert und hier sind einigen Links:
Hans Blues&Boogie Ich hab den Blues schon etwas länger: Spuren einer Musik in Deutschland, da muss etwas nach beiden Seite gescrollt werden!
Manne C.
M. Chicago & Friends
Manne im Flöz, Dezember 1987
Manne Chicago u.a. – jazz for fun, 1989.04.30.

Das allerletzte oberirdische Event mit Manne findet am 27. März, 12 Uhr auf dem Friedhof Schmargendorf statt, Misdroyer Straße 51-53, 14199 Berlin.
Verkehrsanbindungen:
186, 249, Haltestelle Kirchstraße
110, 186, 249, Haltestelle Berkaer Straße / Breite Straße
110, Haltestelle Platz am Wilden Eber

 – Mach et jut old Ben!

3 Gedanken zu „Manne Chicago, das Berliner Boogie-Blues-Piano-Harp-Fossil, geht seit dem vergangenen 6. Februar nicht mehr einkaufen!

  1. Pingback: Bereits vor Specht´s (Jewgeni oder Ecki) Beerdigung in der kalten Heimat, kam mir Bruder Hein schon öfters ins Gedächtnis… | Blogwart Zonenkl@us

  2. Jani

    Habe Manne immer auf den Friedhof gesehen Blumen sammeln für seine Inge.
    Keiner wusste wer er war, schade.

  3. Wolfgang Haase

    Hallo Klaus,
    ich weis es ist schon ein viertel Jahr her dass Manne zu seiner Frau kam.In der Zwischenzeit ist auch der Grab-liegestein für Manne fertig geworden und liegt zur Erinnerung an meinen Freund und Boogiewoogie-Lehrer auf dem Ehegrab in Schmargendorf.Schau ihn Dir mal an,ich finde er ist sehr gut geworden und ich glaube er hätte auch Mannes Zustimmung gefunden.
    Ich würde mich gern mit Dir mal treffen um unsere Manne-Erfahrungen auszutauschen.
    Ich bin der ,der Mannes letzten Willen in die Tat umgesetzt hat!
    viele Grüße!
    Wolfgang

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