Fortsetzung vom gestrigen Schrieb – nun als Rohrknickerknecht im Norden Berlins

Bisweilen erlebt man Geschichten, die fast keiner glaubt. Habe leider den Kontakt zu meinem Spezi verloren, der alles bezeugen könnte…
Im anderen Fall gehörte ich zum Lohngesindel einer Vierer-Kolonne. Ein Kumpel hatte mich, während der Semesterferien (1980 oder ´81), in der Firma als Rohrknicker untergebracht. Sollte anfangs den Mietern erklären, wo wir die Rohleitungen verlegten und gab die Anweisungen, was dann in Kellern und Wohnungen freigeräumt werden musste. Die ersten Tage war die schönste Zeit, danach wurde es allerdings vielseitiger, bohren, Gewinde schneiden, am Bock schweißen, Heizkörper anbringen, Löcher beseitigen usw.
Es handelte sich um ehemalige Zwei- und Mehrzimmerwohnungen, in Tegel, für oberer Chargen irgendeines Berliner Großbetriebes, glaube von Borsig.
Zum Piepen, wie sich alles entwickelte.
Irgendwann handelte das Scheffchen noch einen guten Nachschlag aus, weil auf meinen Vorschlag hin, wir auch die kleinen Putzarbeiten gleich anschließend erledigten.
Zu entsprechenden Bohrungen, hielt in der unteren Wohnung jemand einen Karton an die Decke, für vorgesehene Schweißstellen wurden die Wände mit Astbest(!)platten abgedeckt und Auslegwaren mit dicker Malerfolie abgeklebt.
Bei manchen alten Witfrauen nahmen wir die Gardinen ab, nach deren Waschung wurden sie auch wieder angebracht.
Wir heimsten später Unmassen an Trinkgeldern, Schnaps, Bier oder Speisen ein. Um die Ecke befand sich zudem eine sehr gute Fleischerei. Deshalb gab es zum häufigen Hackepeter, an den D-Tagen, mittags wochenlang Eisbein…
Eine ganz wichtige Sache nebenbei, uns ließen alle Betroffenen auf ihre Toiletten, was eigentlich nicht selbstverständlich war!
Anfangs tätigten meine Kollegen die Vorbereitungen, Materialbeschaffung u. ä., wobei ich begann, entsprechend der Ankündigungen, sämtliche Mieter aufzusuchen. Kurzzeitig irritierte mein Outfit die Leute, zerschlissene Hosen, Nickelbrille, langer Bart und Haare, mit einer beginnenden fleischfarbenen Badekappe aber eine riesige Kladde in der Hand.
Zufällig ergab sich gleich in der ersten Wohnung die entscheidende Gegebenheit, für die gesamte anschließende Zeit.
Das mitt70er Ehepaar war total neben der Rolle. Am vormittäglichen Zeitfenster sollte ein neuer Elektroherd geliefert werde – ob sie den alten wohl abklemmen und gleich mitnehmen würden?
Nach meinem paar minütigen Job, wobei ich den Leutchen lediglich zuhörte, kam abschließend das Angebot, den Herd abzuklemmen, nebenher ihrer ungläubigen Vorbehalte, ob ich so etwas überhaupt könne, dann die gutgemeinte Empfehlung, dem Lieferanten nebenher einen Dürer in die Hand drücken und zu verlangen, dass er das alte Teil mitnehmen soll.
Klemmte den Herd ab, stellte dabei fest, dass sogar 380 V auf der Anschlussdose waren, das Ding aber mit 220 V lief. Misstrauisch wie ich nun mal in solchen Situationen bin, entfernte ich das Kabel auch am Herd, da es möglich schien, dass selbiges nicht zum Lieferumfang gehörte.
Als ich gehen wollte, kam von der alten Dame die Frage, ob ich nicht alles in meine Hände nehmen könnte, besonders die Geschichte mit dem Zehner, da es absolut nicht ihr Ding war.
Gut, sie sollten Obacht geben, wo ich mich gerade im Block aufhielt!
Alles lief glatt, der Mann hatte sogar den Auftrag, das alte Teil mitzunehmen, dies steckte er mir augenzwinkernd, als er den Schein einsackte.
Nun stand der neue Herd in der Küche, was nun?
Bot die sofortigen Anschlussarbeiten an, nebst vorherigen Versuch, die Geschichte mit den 220 und dem Vorteil des Betriebes mit 380 Volt zu erklären. Ratzfatz ging alles über die Bühne, strahlend schob mir der alter Herr noch einen Lübecker in die Hemdtasche, aber nichts ihren Kollegen erzählen!
Gott noch mal, wer mich in den folgenden Wochen, alles sehr freundlich grüßte…
Einen Tag später wurde ich zum Frühstück eingeladen, wahrscheinlich wollten sie mir lediglich stecken, dass ich beim Ortsbauernführer, im Nachbareingang, bestimmt Schwierigkeiten bekommen würde. Um wen und was es da ging, da hielten sich beide bedeckt, dafür bekam ich aber Unmengen von Gerüchten zuhören…
Begab mich anschließend sofort zu jener Wohnung, dort richtete mir eine Frau aus, dass sich ihr Mann noch fernmündlich mit der Verwaltung in Verbindung setzen wollte, kein Problem, er möchte sich dann im Bauwagen melden!
Kurz vor Feierabend kam die Mieterin noch vorbei und erkundigte sich, ob es mögliche sei, am kommenden Tag gegen 7 Uhr, gleich bei ihnen zu beginnen – Logo!

Man empfing mich sehr freundlich.
Der Mann eine noch drahtige Erscheinung, Mitte 60 vielleicht, um die eins achtzig groß, sie wenig kleiner aber schon leicht aus den Fugen gegangen. Madame dackelte in einem sehr geringen Abstand ewig ihrem Männe hinterher und sagte die ganze Zeit nichts mehr.
Parallel zur Willkommenheißung kam noch: Meine Frau hat sie mir beschrieben, als Student mit Nickelbrille! Deshalb mache ich sie noch darauf aufmerksam, dass ihnen unser Interieur bestimmt nicht zusagen wird…
Entgegnete daraufhin, dass mich die Innenausstattungen in den anderen Wohnungen auch nicht interessiert hätten.
Na ja…
Allerdings fiel mir bereits lange vorher etwas auf, was fast alle Wohnungen betrafen. Da es in der Ecke keine Kriegsschäden gab, fand ich viele Unterkünfte noch mit Möbeln ausgestattet, welche 50 Jahre und älter waren. Die sich trotzdem in einem Zustand präsentierten, als ob sie letzte Woche gerade im Möbelhaus erstanden wurden.
Beim Ortsbauernführer, natürlich identische Gegebenheiten, allerdings hochgradig kleinbürgerlich übertrieben. Unter allem Zeug, wo es machbar schiene, lagen gehäkelte Deckchen, ihr Telefon versteckte sich in einer Brokatverkleidung…
Vom kleinen Flur ging es rechter Hand in Bad und Küche, bereits dort strahlte alles in einer Ordnung, die weh tat.
Geradezu kam das Wohnzimmer, an der rechts befindlichen Fensterfont fielen von der Decke bis zum Boden sehr feine Stores, die Übergardinen bestanden aus einer schweren grünlichen Brokat-Textilie. Die lange Wand, links vom Fenster, füllte eine klobige Eichenschrankwand aus, der Rest vom Zimmer wurde von wuchtigen Sitzgelegenheiten ausgefüllt.
Rechts neben der Schlafzimmertür befand sich eine Anrichte mit vielem Schnickschnack drauf, natürlich alles auf Deckchen und vor dem Fenster, an der Küchenwand, stand eine riesige Glotze.
Der mehrflammige, zu groß geratene Kronleuchter mit viel Kristallgebamsel, war eigentlich auch fehl am Platze.
Auf dem unförmigen Couchtisch lag in ganzer Größe die Nationalzeitung, die so absolut nicht zum vorgefundenen Ordnungssinn passte. Wahrscheinlich nach dem Klingelton extra dort hingeworfen…
Den Typen interessierten nun lediglich irgendwelche versicherungstechnischen Detail zu den kommenden Arbeiten.
Dann wurde ich ins Schlafzimmer gebeten, dessen Eingang befand sich gleich an der linken Wohnzimmerseite, wenn man den Raum betrat…
An der gesamten Linksseite befand sich eine hohe weiße Schrankwand, alle Türen verspiegelt.
In dem Moment irritierte mich doch etwas sehr gewaltig. Vor mir die Ehebetten, gerahmt von zwei Nachtschränkchen, mein Blick wanderte nun mehrfach von der Spiegelung zur Wandseite über dem Kopfende des Schlafmöbels. Drehte mich im Zeitlupentempo zum Wohnungsinhaber um und fragte, muss ich ihn grüßen?
Grinsend wie der Edalfrosch entgegnete er: Natürlich nicht!
Seine Frau hinter ihm lächelte daraufhin.
Bis fast an die Zimmerdecke prangte ein Ölschinken in einem reich verzierten güldenen Rahmen, von vielleicht 1,20 mal 0,60 Metern, kann auch größer gewesen sein. Drunter befand sich ein rustikales Bücherbord, darauf mehrere ledergebundene Prachtausgaben, versehen mit Goldprägeschrift.
In dem Augenblick fand ich meine Sprache wieder: Wow! Sie haben ja da dort sämtliche Highlights des III. Reiches stehen!
So würde ich diese Werke aber nicht bezeichnen!
Nochmals: Wow, sogar Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“!
Kennen sie etwa dieses Buch?
Logo, habe ich bereits als 13jähriger gelesen, genauso wie „Mein Kampf“!
Aus dem protzigen Goldrahmen, blickte grimmig dreinschauenden Adolf der Gütige herab. Auf der recht gut gelungene Darstellung, steckte der Daumen seiner linke Hand neben der Gürtelschnalle, hinter dem Koppel, die andere Hand entsprechend erhoben…
Auf dem Bord befand sich mittig ein größerer Ledergebundener Foliant, der alle anderen Machwerke überragte – Mein Krampf, rechts daneben, gleich der Rosenberg, dann beidseitig Goebbels, Göring u.a. – um die zehn Bände, alles sehr teure Exemplare…
Wenn sie Interesse haben, könnte ich ihnen noch etwas zeigen!
Ohne meine Antwort abzuwarten, huschte er an mir vorbei und öffnete zwei mittlere Schranktüren. Trat in erhebender Pose beiseite und beobachtete mich.
Da hingen mehrere, verschiedenfarbige Mäntel, Uniformen, Schlipse und Koppel. Auf dem Regalbrett darüber, Mützen und Uniformhemden, alles mit einer Akkuratesse gestapelt, die mir unbegreiflich erschien. Stiefel sowie anderes Schuhwerk mit Spannern versehen, alles mit dünner Malerfolie umwickelt. An der einen Tür hing ein gigantischer Ehrendolch
Auf die Vorführung seiner Ordensspange wurde meinerseits aber verzichtet.
Nach seiner Präsentation folgte noch eine Bitte, ich sollte ihm demnächst unbedingt noch erzählen, wie es kam, dass ich in so jungen Jahren diese Bücher gelesen hatte…

Epilog!
Niemand wurde anschließend etwas von meinem Erlebnis erzählt.
Als endlich jene Wohnung anstand, öffnete ich ich für Walting die Schlafzimmertür, mit dem Spruch: Hereinspaziert in das Panoptikum!
Da verschwand die Mieterin flugs.
Nach kurzer Zeit der Verblüffung, mutmaßte mein Kollege: Der Kerl ist pervers! Stelle mir gerade vor, der pimpert seine Alte von hinten. Während sie sich auf dem Fußteil abstützt, wedeln dabei ihre Titten im Takt hin und her, zu seinem Orgasmus grüßt er dann mit erhobener Hand, den lange verblichenen Führer in den Spiegeln…

Fussnote: Während einer späteren vorsichtigen Offenbarung seinerseits, kam heraus, es handelte sich bei dem ewiggestrigen Volksgenossen natürlich nicht um einen ehemaligen Ortsbauernführer der noch immer seiner Blut-und-Boden-Ideologie anhing, sondern um einen Berufsjugendlichen aus dem Umfeld der Reichsjugendführerschaft...
Nach Abschluss sämtlicher Arbeiten erschien der Mann persönlich an unserem Bauwagen und spendierte für die gute deutsche Arbeit 50 DM.

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