In jenen Tagen, gingen die Reste der fetten Westberliner Jahre schon ihrem Ende entgegen und dies bereits seit fast 10 Jahren.
Stimmt eigentlich nicht, denn in den Coca-Cola-Sektoren begann das bedächtig Sterben von Kunst und Kultur bereits in den ausgehenden 1970ern, was die massenhaften öffentliche Veranstaltungen betrafen. Wo sich irgendwelche Nasen beliebig produzieren konnten, auch Musiker, bis weit in die Nacht hinein.
Außerdem gab es damals noch nicht diese äußerst niedrige Toleranzschwelle, da amüsierten sich Zeitgenossen, von 8 bis 80, ohne irgendwelche große Probleme miteinander. Als Beleg fallen mir da, z. B. jene mehrfache Eröffnungsfeten der 7er U-Bahnlinie nach Spandau ein. Es gab Freibier, die BVG liebte damals ihre Kunden nicht, sondern bezog sie praktisch ein, sie besaßen damals noch ein Orchester, welche die anstehenden Feten kräftig aufmischten. Nachmittags lungerte auch ich mit Kumpels dort herum, alles lief sehr friedlich ab. Ältere Leutchen wunderten sich lediglich über den merkwürdigen Geruch, der unseren Zigaretten entstiegen, den sie bisher nicht kannten…
Was haben wir uns auf dem französischen Volksfest, anlässlich der dargebotenen Wein und Brinolproben, nebenher auch die Kante gegeben. Zu den Amis gingen wir hauptsächlich wegen der Musik hin, bei den Briten, in Wilmersdorf wurde lediglich gezecht und abgehangen…
Ein Fescht muss ich auch noch erwähnen, es war das letzte, wo man zum samstäglichen Abschluss eine Rockmucke anbot.
Sämtliche Biertischgarnituren warden noch mit bezechten Prolls und ihren Weibsbildern okkupiert und keiner von den wollte verschwinden. Massenhaft strömten junge Leute heran und hingen an den Rändern ab, wobei viele Jungs und Mädels bereits die umliegenden Bäume erklommen.
Eine alte Bekannte von mir, die Gattin eines Arbeitskollegen von Sonnenschein, stand mit ihrem riesigen Losbuden-Anhänger dort herum. Sie fragte ich, ob wir ihr zu dritt auf den Kopf steigen dürften. Nach kurzer Überlegung – “aber nur ihr, weil ich nicht weiß ob es euch überhaupt aushalten würde…“
Alles ging klar, nur wurde alles erklommen, wo es irgendwo möglich erschien. Am Schlimmsten sah es auf einem Toilettencontainer aus. Plötzlich tauchte der dortige KOB auf, seines Zeichens ein ausgeprägter Vollpfosten, der überall herum kreischte und verlangte, dass alle die oberen Regionen verlassen sollten, die Betroffenen ihn aber nur nur mit dussligen Bemerkungen eingedeckten. Irgendwann verlegte dieses grüne Männchen von den Roadies ein Mikrofon, was sie nicht gestatteten. Während des Soundchecks startete er einen weiteren Versuch, der wieder in die Hose ging.
Mittlerweile entstand im Rund totales Chaos, wobei nun einige der besoffenen Alten, sich endlich doch entschlossen, abzuhauen. Mittlerweile hatte sich der Platz soweit gefüllt, dass alle dicht an dicht standen und mittig versuchte der irre Polyp in Richtung Bühne zu gelangen, dies ging aber nicht, weil vor ihm, sich alle einhakten und damit sein Fortkommen unterbanden, was auch in anderen Richtungen geschah. Zum Geschrei der Anwesenden kam nun noch der witzige Versuch, die Mikrofone und Instrumente entsprechen einzustellen, dabei entstanden bewusst irre laute Übersteuerungen. Wir saßen auf unserer Losbude bestimmt 50 Meter von der Bühne entfernt, aber in unserer Horchwaffeln quietschte es so laut, dass es schmerzte.
Backstage sahen wir dann schon den Schefff, er lebte damals in Neukölln oder war es schon K-Berg? Jedes mal, wenn er ganz kurz die Bühne betrat, Lautes Aufschreien, Geklatsche und Jubelrufe.
Plötzlich geschah etwas vollkommen idiotisches, wo es sogar Tote hätte geben können.
Am östlichen Zuschauerrand standen drei Fahnenstangen, vielleicht 6 Meter hoch, an denen entsprechende Bannern baumelten, von Berlin, Kreuzberg und Schwarz/Rot/Senf. Ein Typ erklomm barfuß, wirklich wie ein Affe, den Mast mit den deutschen Farben. Es wurde kurzfristig etwas leiser, da alle gebannt den Jugendlichen beobachteten. Wobei anfangs alles seine Aktionen frenetisch bejubelt wurden. Zuerst riss er den blonden Streifen ab, zerknüllte ihn auffällig und holte etwas aus seiner Hosentasche, pfefferte anschließend ein Fläschchen nach außerhalb. Schüttelte danach den Streifen (vielleicht 40 cm breit und 3 Meter lang) auf volle Länge und zündete ihn an, der sofort vollständig Feuer fing, sachte in Richtung der wartenden Menge segelte. Entsetzende Aufschreie, da hatte es aber der Polizist auch auf die Bühne geschafft, ein Mikro an sich riss und keifend die Veranstaltung für beendet erklärte, dazu man ihn aber auch mit allen möglichen Wurfgeschossen eindeckte.
Der brennende Lappen hatte keine Schäden verursacht, nun gab es aber einen noch größeren Aufschrei. Währenddessen befanden sich aber alle Musiker bereits auf ihren Plätzen, der Schefff flüsterte dem Gendarmen etwas in seine Löffel, entwand ihm das Mikrofon, machte dazu eine besänftigende Bewegung mit seinen Armen, ruckartige Stille im Rund, gefolgt von einem weiteren infernalischen Aufschrei, als er kund gab, dass er jetzt sofort mit Singen beginnen will!
Wir bekamen ein ganz geiles Konzert geliefert, wo es keine weiteren Probleme mehr gab.
Hätte fast vergessen, wer sich an dem Abend dort schaffte.
Es handelte sich um jenes britische Weißbrot, der sein Feeling für schwarze Musik, als junger Typ im Amiland, noch ausgiebig vertiefte…
Weiß gar nicht, ob Gerd, der ehemalige Herausgeber vom Tresen Magazin, noch einkaufen geht.
Mal etwas aus vergangenen Zeiten – Tresen Magazin, 1998
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