Nur einmal schüttelte er mit dem Kopf, als ich in Büchern die gotische Frakturschrift erlernen wollte, nahm dazu Karl May, da er drei oder vier Bände in jener Schrift besaß. Die wenigen Bücher in lateinischen Lettern hatte ich mir ja bereits eingezogen. Schnüffelte damals parallel bereits in Schriften von Gerstäcker, Jack London, Cooper, Bret Harte (den kennt sowieso keine Sau mehr) usw. herum…
Hatte mir dann ausgerechnet Tolstois: „Die Auferstehung“, gegriffen, sein längstes Werk. Es dauerte fast ein viertel Jahr, bis ich es durch hatte. Musste nebenher immer wieder Opas Hilfe in Anspruch nehmen, der sich ewig auf meine vielen Fragen entsprechend einließ und zu Erklärungen weitere Literatur heranzog…
Zwei Jahre später, ich hatte mit ihm ein kleines Baumhaus, am unteren Hang, an einem alten Kirschstamm gebaut. Der Einstieg, in ungefähr drei Meter Höhe, war so eng gestaltet, dass kein Erwachsener mich dort stören konnte. Außerdem wurde das knotiger Tau immer hochgezogen…
Darin las ich dann als Sechstklässler bereits, ganz heimlich NS-Literatur. Die Großvater besaß, weil er sie zeitweise zu Vorträgen benötigte, er durfte sie allerding aber auch niemanden zugänglich machen!
Von ihm kam auch die Einschätzung, Hitlers gefährliches Kampf-Märchenbuch wäre einmalig im deutschen Raum, das meist produzierteste Machwerk gewesen, was allerdings auch am wenigsten gelesen wurde…
Unsinniger weise wurde es, aus ideologischen Erwägungen heraus, seinen freudigen Mitläufern immer wieder brav an deren Volksdeutsche Herzen gelegt. Das eigentlich fragwürdigste Produkt sei aber Rosenbergs: „Der Mythus des 20.Jahrhunderts“, gewesen. Welches ich mir anschließend auch prompt einzog…
Mit jene beiden Schwarten, hatte ich mir als Kind, die erste schwere Heimsuchung auferlegt. Denn erstens durfte es die hochgradig stalinistische Mutter meiner Schwester nie erfahren und anderseits, konnte ich es keinem Schwanz erzählen!
So begann meine lebenslange Reise durch die unendlich gedruckte Welt, die im Herbst 1974, einen weiteren Höhepunkt erfuhr. Als ich mehrere Wochen im ungarischen Staatsgefängnis logierte. In den dortigen Tagen, ausgiebig sportliche Tätigkeiten frönte und jeden Tag zwei oder drei Bücher, auf der Pritsche liegend, verschlingen konnte. Durch die Bank weg, sehr anspruchsvolle Literatur, meistens sogar aus dem Westen!
Später, im Hotel „Roter Ochse“, sah es dann etwas anders aus!
Tagelang wurde mir das ND, die SEDisten Parteipostille, offeriert. Da ich mich weigerte, sie an der Klappe in Empfang zunehmen, wurde die Zellentür aufgeschlossen und dieser Schmachtfetzen an der Schwelle niedergelegt. Nach weiteren drei Wochen gab es dann die Leseerlaubnis. Der Ordner beinhaltete lediglich dummrote Ostern, sowie massenhaft ideologisch gefickte Schmutz und Schundliteratur.
Außer zwei Werke, auf die ich wochenlang warten musste: George Eliot, “Die Mühle am Floss“ und William Makepeace Thackeray, “Die Virginians“. Dem Himmel ward Dank geschuldet, dass ich beide Romane noch in U-Einzelhaft genießen durfte! Kurz vor Weihnachten war mit der Leseruhe dann sense, nun zu dritt, war der eine Mitbewohner eine tierische Flachzange.
Deshalb verlegte ich nebenher meine billigsten Wünsche – im Vollzug ebenso – auf Druckwerke von Goethe und Schiller aus den 50ger Jahren, die teilweise noch vom Schnitt verklebt waren…
Konnte ich in Budapest unermesslich viel schmökern und Gedichte lernen, rückte die Stasi immer nur ein Buch pro Woche heraus, außerdem war sportlicher Aktionismus verboten!
( Lit. II. )
(Lit.I.) Meine Bücherneugier wurde vom Großvater entfacht und betreut, er versagte mir auch nie etwas aus seiner großen Bibliothek!
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