Wegen eines Konzertes ging es am Freitag, den 10., nach Braunschweig. Kurz vor dem Nest: Stau, weil ausgerechnet vor uns Dracula stippen musste. Grund, die Neugier von Gaffern, wegen eines Hubschraubereinsatzes mit viel Blaulicht und Lalülala. Es gab absolut nichts zu sehen, da die Verursacher ihre Wagen sehr unvorteilhaft unten an der Böschung parkten, aber davon offenkundig nichts mehr mitbekamen…
Da Decker auf dem Domfriedhof zwei Gräber ablichten wollte, ging es zuerst in jene Richtung.
Nach dieser Fahrt kam ein Spaziergang grade recht. Wundervolles Wetter, der Herbst offenbarte sein angenehmstes Antlitz, wenig Bäume schon länger farbenfroh herausgeputzt, begannen sich gerade vorsichtig zu entkleiden – Christof Stählin bezeichnet den Herbst ja, als den Frühling des Winters – richtig!
Was hat G. E. Lessing mit seiner humanistischen Gefühlsduselei bei der Masse bewirken können? Außer, dass ein Haufen Deutschpauker existieren, die ihre Schüler mit seinen Stücken immer noch malträtieren und traumatisieren.
Mir war das Glück hold, dass mir nach jener Phase der widerlichen Russenostern als Pflichtliteratur, Lehrer über den Weg liefen, die mir mit den Klassikern etwas rüber brachten.
Bei F. Gerstäcker war es etwas anderes, zu einer Zeit, als meine Schulkameraden noch in „Mosaik-Heftchen“ buchstabierten, las ich in der dritten Klasse, May, Gerstäcker, Twain, Cooper und biss mich am Ende des Schuljahres schon bei Tolstoi fest.
Gegenüber vom Friedhof befindet sich das abgelichtete Haus, kein Puff, einfach Gründerzeit. Oben rechts und links befinden sich vier barbusige Mädels. Warum ihre Unterkörper in Stelen auslaufen, da fiel uns nichts ein, auch dazu, warum sie genormte Titten rausstreckten.
Anschließend bekam das Hirschlein in der Nähe der Kirche seinen Parkplatz, von dort gings in eine Kneipe. Sie Präsentierte sich im Cubalook, richtig ersichtlich kam es nicht rüber, aus welchen Gründen überhaupt. Waren sie ideologischer Art, oder hat jener Besitzer nur jahrelang sein Sperma auf der Karibikinsel verschleudert? Etwas schimmerte auch die Verbundenheit mit dem Proletariat durch, ausgedrückt in sozialistischen Realismus. Ein Schinken erinnerte mich an Brigadefeiern der MaFa in Sangerhausen.
Essen war sehr gut, in letzter Zeit nehme ich öfters Vegetarisches und da zeigt sich was die Leute drauf haben.
Gut gelaunte ging es in Richtung der St. Jacobikirche zu David Honeyboy Edwards. In der Vorankündigung wurde mit seinem Alter rumgehurt – 93 Jahre!
Ein bisschen erinnerte mich sein Auftritt an Clarence “Gatemouth” Brown und dem alten John Lee Hooker, damals noch im Tempodromzelt. Leider fand ich es enttäuschend, der Schefff sollte nun endlich an seinen verdienten Ruhestand denken! Auf der anderen Seite, er sah nicht so aus, als ob ihn Depressionen plagen würden – unter diesem Aspekt geben seine Tourneen doch einen Sinn. Sein Antlitz, um Jahrzehnte jünger, passte nun überhaupt nicht zu seiner Behäbigkeit, man möchte sie eigentlich als Gebrechlichkeit bezeichnen. Tom Shaka begann, über Michael Frank (Harp) lasse ich mich nicht weiter aus. Hinzu kam, der Schefff schien mächtig spät zu hören. Die Kirche besaß eine Akustik bei verstärkten Sachen, die klang, als ob eine Ziege in den Melkeimer schiss, entsprechend die beiden Aufnahmen.
Mit unwahrscheinlich wachen Augen gab HONEYBOY anschließend, stoisch Autogramme, fast eine Stunde lang.
Wenigstens habe ich noch eins der letzten, tourenden Fossile der Deltabluesgiganten erleben dürfen, und das war doch auch was. Schlimm genug, was uns in der Zone, diese Impotenten, ideologischen Schwanzlutscher der Moskauer Scheintotenriege alles vorenthalten haben.
Dem Himmel seid dank, bereits 14 Jahre früher, als die meisten anderen Kuttenträger, konnte ich mich an diesen Blues-Klängen laben. Wenn ich an das feeling während dieser Bluesmessen in den beginnenden 70er Jahre in Halle dachte, können die mit den später vom mir erlebten, gut mithalten. Ich weiß gar nicht mehr, welcher Fraktion beide Mönche angehörten, die jene Blues-Happenings zu dieser Zeit anleierten. (Der eitle Eppelmann behauptet ja immer, er habe selbige Messen erfunden, der Typ verbreitet Notwahrheiten, scheinbar braucht er das!)
Wir besaßen damals zwar nicht den besten Dope – eigentlich war viel Scheiße dabei, hauptsächlich diese Cocktails aus Uppern und Downern, man war ja noch so genügsam und es ging auch – aber dafür gab es kein HIV!
Das war im Westen anders, es gab zwar auch die Pille, aber viele nutzten sie nicht so richtig aus, es lag scheinbar daran, dass es hier Massen gab, die Kapitalkurse und witzlose Demos wesentlich erotischer fanden. In eben jener Zeit tingelte auch Don Oswaldo Kolle noch durch die Lande, um kund zutun, dass man sich vom Wixxen keinen dauerhaften Schaden an seinen grauen Zellen holen würde und auch keinen Buckel bekam.
(Da fällt mir in diesem Zusammenhang etwas ein. Niemals zu meinen lustigen Ostzeiten, hat mich jemand einen kleinbürgerlichen Individualisten genannt oder gesagt, wenn es dir hier nicht gefällt – dann mach dich doch rüber! Im Gegenteil, außerdem kam auch kein Mädel mit einer Gegenfrage, wenn ich mit ihr in die Kiste wollte: „Du willst doch sicher nur meinen Körper missbrauchen?“)
War auch hier und heute etwas anderes. Keine THC-haltigen Schwaden in der Nähe des Eingangs. Ganz normales, kleinbürgerliches Klientel tauchte auf, wir um die 50+ und mehr, hauptsächlich die etablierte Nickelbrillenfraktion. Entsprechen war die Stimmung, sicher wenig darunter die das Bluesfeeling mal in einem Schuppen mit bekifften bunten GIs erlebt hatten. Fast kein Szenen Applaus, die Euphorie während der Beifallsbekundungen erinnerte an den Blauen Bock. Bei Lalahits wurde kurzzeitig, heftig gegen den Takt geklatscht, ansonsten hockten die meisten im Kirchengestühl, wie vor der Glotze.
Wir fanden, Honeyboy hätte einen würdigeren Platz verdient, als in diesem hässlichen, Wilhelminischen Gebetsbunker!
David HONEYBOY Edwards
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