(Wildwechsel die II.) Die Fortsetzung zum gestrigen Schrieb…

War nun bei dem durchgeknallten Bekannten untergekommen, wie sollte es aber weitergehen?
Von dem Trip in Richtung Ösiland wurde mir abgeraten, wegen vermuteter Minen an der Grenze.
Eine ganz ähnliche Auskunft gab es zwischendurch in der bundesgermanischen Botschaft, die Leute hockten damals provisorisch im „Europa Hotel“ am Wenzelsplatz. Solle doch zurück in die DDR gehen und dort einen Ausreiseantrag stellen. Dies war bereits ein Jahr vorher geschehen, Anfang März, dort tat sich aber nichts weiter.
Mein Landlord gab den Hinweis, es in Danzig oder Stettin über die Ostsee zu versuchen.
Ein sehr witziger Vorschlag nach den vier Wandertagen!
Dann trat aber etwas ein, was ich schließlich unter sehr gelungenen Urlaubstagen abbuchte…
Wollte am späteren Vormittag ins Zentrum fahren, besaß aber kein Ticket für die Tram. Fragte des­halb Wartende, wer mir einen Fahrschein verkaufen könnte. Eine sehr attraktive Dame, schätzte Ü-50, die Deutsch mit amerikanischen Einschlag sprach, schenkte mir daraufhin solch Teil.
Im Wagen unterhielten wir uns dann. Ich bin letzte Woche in ihrer Heimat, in Frankfurt gelandet. Outete mich in dem Moment als Ossi. Einen Ausweis oder Pass konnte ich allerdings nicht vorwei­sen, hatte zu Beginn des ungewissen Trips, den PM12 weggeworfen, besaß nur noch den Führer­schein. Meine kurzen Schilderungen fand die Frau so interessant, dass sie mich sofort zum Früh­stück ins „Europa Hotel“ einlud, dort registrierte ich dies mit der Botschaft. Mittlerweile wusste ich, sie stammt aus Odessa in Texas und erledigte für ihren alten Lebenskameraden, der 1968 emigriert war, eine Erbschaftsgeschichte…
Ob wir uns nochmal sehen könnten?

Kein Problem!
Zum Abschied wollte sie mir gleich noch 100(!) US-Dollar* – damals eine riesige Summe, wenn ich sie in Kronen getauscht hätte – in die Hand drücken, dies wurde von mir allerdings abgelehnt. Wollte es nämlich, bei einer anstehenden Verhaftung nicht darauf ankommen lassen, wegen eines zusätzlichen Devisenvergehens, den entsprechenden Nachschlag von mindestens einen weiteren zusätzlichen To­tensonntag im Knast zu riskieren…
Für den späten Nachmittag wurde ein erneutes Treffen anberaumt. Nahm aber 100 Kronen dankend an und verbrachte anschließend den ganzen Tag im Nationalmuseum
War total platt, als wir uns dann trafen, hätte sie fast nicht wiedererkannt.
Morgens noch im Kleid und leichtem Mäntelchen, nebst einer recht klobigen Handtasche, etwas zu auffällig geschminkt, nebst knallroten Fingernägeln. Aufgefallen war mir allerdings von Anbeginn ihr freundlicher Gesichtsausdruck und ihre wunderschönen Augen. Nun stand sie jugendlich einge­kleidet vor mir, nichts erinnerte mehr an ein texanisches Landei. Ihr modischer Schick kam aus einem Spezialladen:Toll verarbeitet und sehr billig, außerdem wollte ich mir sowieso andere som­merliche Kleidung kaufen…
Sie kam mir in dem Moment vor, wie eine Replik von Dolly Parton!
Ebenso fehlte plötzlich das geschlechtsspezifische wunderliche Gehabe einer Amerikanerin, mei­nerseits verstand ich jene Offerte.
Die folgenden Tage wurde ihr eigentliches Ansinnen sehr ge­rafft, den Rest verbrachten wir gemeinsam. Hinzu kam, der Empfangschef ihres Hotels organisierte einen befreundeten Fahrer, der uns nach Theresienstadt und Karlštejn kutschierte. Kulturell gese­hen, war natürlich auch ein Besuch des Schwarzen Theaters angesagt.. . . .
Musste mich ganz schön zusammennehmen, um nun nicht umgedreht in das unbedarfte Landei aus dem Osten zu mutieren. Denn ihre Dollars galten im Tschechland als Universalschlüssel für wirk­lich alle Lebenslagen. Dies konnte ich etwas später auch erleben, mit meinen Westmücken in den Taschen.
Am vorletzten Abend lernten wir im U Kalicha einen Franzosen kennen. Welcher bereits acht Sprachen be­herr­schte und in Polen einen abschließenden Sprachkurs besuchen wollte. Zufälligerweise unter­richtete die Amerikanerin Deutsch, Anarchist Philipp ebenso Er jobbte noch als freier Journalist der Libéra­tion und als Freejazz-Musiker. Unwahrscheinlich lustig war beider Neugier auf Begriffe meiner Mutter­sprache. Die Frau notierte ewig Worte meiner oftmals sehr bildhaften Sprache. Bei dem Franzosen verhielt es sich ähnlich, da plapperte ich während unserer gemeinsamen Fahrt in die Slowakei, auch noch mehrere Kassetten mit politischen Ost-Witzen voll.
Mein Aufenthalt in Polen ist sehr schnell erzählt.
Nach meinem illegalen Grenzübertritt, traf ich mich mit Philipp in einem kleinen Nest, auf der Landstraße nach Zakopane wieder, dort übernachteten wir in der Willa Bajeczka, bei Bekannten. Am nächsten Tag brachte ich den Franzosen in Kraków unter und trampe sofort weiter nach Wroc­ław
Schlug zuerst bei einem Freund auf. Zwei Wochen lieferte ich mit ihm Milch aus, von 22 Uhr bis gegen 3 morgens und alles im Laufschritt. Fungierte sofort als Spannemann, weil sein Partner krankheitshalber ausgefallen war. Dann ging es weiter nach Warszawa, landete bei Roman, der mich kurz darauf zu einem obskuren Happening mitnahm, inszeniert von Tadeusz Kantor. Im kulturellen Chaos prostituierten wir uns entsprechend mit Musik, mein Spezi mit Gitarre und ich mit der Harp.
Alles vom Feinsten, angefangen bei den Speisen, darunter kulinarische Köstlichkeiten, die mir voll­kommen unbekannt waren, von den erlesenen Getränken ganz zu schweigen. Trieb sich da eine de­kadente Kunstschickeria herum. Mumien darunter, die voll gehangen mit blitzenden Brillanten und in erlesener Kleidung herumliefen.
Wir spielten Blues und manchmal wurden Gitarrensaiten total entspannt, dann klang alles nach Si­tar…
Vor uns stand ein Hut, worin die Leute Geld fallen ließen. Weiß nicht mehr, wie viel zusammen­kam. Es handelte sich aber um eine exorbitant hohe Summe. Plötzlich lief mir dort ein alter Spezi über den Weg, der bekannteste polnische Hippie, gerade aus den USA zurückgekehrt. Er hatte dort seinen Freund Allan Ginsberg besucht.
Wir schwatzten eine Runde, dann drückte er mir eine Art Visitenkarte in die Hand, dazu ein Tip, wo und wie ich die sommerliche Zeit verbringen könnte, wurde durch seine Hilfe recht problemlos im­mer weitergereicht. So landete ich anschließend für einige Wochen in den Urwäldern von Biesz­czady, direkt an der Ukrainischen Grenze. Dort kämmten wir Heidelbeeren, sammelten Pilze und Kräuter. Ein Abnehmer holte zusätzlich identisches Zeug aus anderen dortigen Tälern, seine Beute wurde dann nach Westberlin gebracht.
Ach so!
Auf der Rückseite der kunstvollen Visitenkarte stand nur folgender Satz: To jest Ede, mu pomóż i niezadawaj pytań!(Das ist Ede, helft ihm und stellt keine Fragen!), alles versehen mit seinem besonderen Signum…

(Wildwechsel die I.)

*So nebenbei:  Eine Ostmark – 4 Tschechische Kronen(CZK), Westmark – 12 (CZK), US-Dollar – 40 (CZK) und ein halber Liter köstliches Bier kostete 3 (CZK). .  .   .    .

Fortsetzung folcht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert