Archiv für den Tag: 22. September 2017

„Kommentar Briefwahl“

Eigentlich sollte mir in diesem Jahr jenes Wahlbrimborium am Arsch vorbeigehen, aber ein Freund redete mir wegen der Beteiligung ins Gewissen. Lediglich aus diesem Grund geht er sein Kreuzchen machen und wählt deshalb die Tierschutzpartei. Dieser Pharisäer, Jagdpächter und dann bei denen ein Kreuzchen machen.
Also machte ich mich vorgestern auch los. Gab den Nachfolgenden meinen Standort kund, hockte mich hin und las die restlichen Seiten über Sven Hedin. Auch so ein Schaumschläger – ein richtiger SPD-Schulz-Verschnitt – alles passte zu den Gesprächen der Wartenden. Allerdings hatte Hedin zeit seines Lebens nachvollziehbare Spuren hinterlassen. Auf die wird man bei 100% Martin wohl bis zum Sanktnimmerleinstag warten können.
Bekam auf dem Amt einen DINA Zettel und musste, nach Vorlage meines P.Ausweises, dort einige Daten angeben, Name und Wohnanschrift. Sagte der Dame anschließend noch, dass sie den Ausweis mitnehmen sollte. „Brauche ich nicht, sie haben schließlich alles ausgefüllt.“
Na Mädelchen, dann wirst du gleich über deine betriebsblinde Routine stolpern!
Ran an ihre Tastatur, wenige Klacks gemacht, dann der Blick aufs Papier, hin zu mir und wieder auf den Schrieb. Kleinlaut kam sie wieder an den Tresen.
Wer kann denn heute noch Sütterlin lesen?
Meine abschließende Frage irritierte dann noch mehr…
Abends las ich dann einen Kommentar zur Briefwahl in der Schülerzeitung:
Freiheit gibt’s nur vor der Tür
In diesem Bundestagswahlkampf werben viele Parteien explizit dafür, die Briefwahl zu nutzen. Das widerspricht dem Gedanken der geheimen Wahl.
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 38. Dass jeder deutsche Staatsbürger sich aussuchen darf, wann und unter welchen Umständen er wählt, steht da nicht. Dennoch machen immer mehr WählerInnen von ihrem Recht auf Briefwahl Gebrauch, und im diesjährigen Wahlkampf haben alle Parteien sogar massiv dafür geworben. Das mag helfen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen und ist insofern gut für die Demokratie. Dennoch ist der allgemeine Trend zur Briefwahl gefährlich, denn er widerspricht dem Geist der Wahl.
Klar gibt es gute Gründe für eine Briefwahl: Kranke und Pflegebedürftige wollen oder können nicht ins Wahllokal, ebenso UrlauberInnen. Auch wer nicht an seinem Heimatort arbeitet oder studiert, soll gern die Briefwahl nutzen. Aber sie sollte die Ausnahme sein. Wenn – wie an manchen Orten – bereits jeder Dritte zum Brief greift, stimmt etwas nicht. Viele Wähler tun dies aus reiner Bequemlichkeit, um sich am Wahltag nicht ins Wahllokal aufmachen zu müssen und flexibel zu bleiben. Es könnte ja regnen (oder die Sonne scheinen), es könnten Freunde kommen oder dringende Postings zu erledigen sein.
Diese Herangehensweise ist respektlos, und zwar gegenüber der fest terminierten Wahl und den Tausenden Wahlhelfern in den Wahllokalen. Außerdem: Wer schon Wochen vor der Wahl seine Stimme abgibt, weiß weniger als die Wähler am Wahltag. Innerhalb kurzer Zeit können Dinge geschehen, die das Wahlverhalten beeinflussen: ein gravierender Atomunfall etwa, eine internationale Krise, ein Terroranschlag.
Zur Erinnerung: Ohne Fukushima wäre Winfried Kretschmann (Grüne) sicher nicht baden-württembergischer Ministerpräsident geworden, was noch heute Einfluss auf die Politik in seiner Partei und in Deutschland hat. Niemand kann zudem garantieren, dass alle Briefwähler wirklich frei abstimmen. Es könnte ja sein, dass ein Ehemann seine Frau mit Gewalt zu einem bestimmten Votum zwingt. In der Wahlkabine hingegen ist jeder Wähler und jede Wählerin allein, und die Wahl ist frei und geheim. Das sollte die Regel bleiben. Weiterlesen