Archiv für den Tag: 3. April 2022

Mal wieder etwas vom eidgenössischen Thiel Eulenspiegel

Metrik
Poet: Schau dir diese Schlagzeile an: „Grossoffensive – Millionen ukrainische Flüchtlinge strömen nach Polen“. Ist das nicht herrlich? Das sind fünf Daktylen und ein Trochäus. Die Schlagzeile ist im Hexameter verfasst.
Prosaiker: Was spielt das für eine Rolle?
Poet: Man hätte sie auch in einfache Jamben fassen können: „Der Krieg löst Massenflucht nach Polen aus“. Aber angesichts der Zerstörung, des Verderbens und des Leids der Ukrainischen Bevölkerung wäre es achtlos, hier zu jambeln.
Prosaiker: Was macht es für einen Unterschied?
Poet: Was im Hexameter formuliert ist, klingt kultiviert: „Seht, dort, Meisen! Sie picken die Hirse und zwitschern vergnüglich.“ Hier habe ich den ersten Daktylus allerdings durch einen Spondeus ersetzt, was den Hexameter noch hebt. Aber stell dir vor, ich würde einfach so dahinjambeln: „Wie lustig zwitschernd picken Meisen Hirsekörner“. Das bewegt doch niemanden.
Oder: „Liebe ist nichts aber wird doch alles, indem ich sie gebe.“ Hier ist nicht der erste, sondern der dritte Daktylus durch einen Spondeus ersetzt. Aber gejambelt klingt es trostlos: „Auch wenn ich nichts besitze, kann ich trotzdem Liebe spenden.“
Prosaiker: Ich verstehe nicht, worauf Du hinauswillst.
Poet: Ich sage es Dir im Hexameter: Krieg und Gewalt dürfen nicht unsere innere Haltung zerstören.
Prosaiker: Die Haltung ist mir Wurst! Nicht Worte zählen, sondern Taten.
Poet: Du jambelst.