Wenn alle klauen, fehlt keinem etwas!
An jene Direktive hielt sich fast jeder, ob Freund oder Feind in dieser „klassenlosen“ Gesellschaft der Zone und alles ohne ideologischer Manipulation . In alle sozialen Schichten wurden irgendwie brauchbare Objekte weggefunden, auch wenn man sie im Moment gar nicht brauchte. Sicher war sicher, wer wusste schon, wie es morgen aussah. Jemand der glücklicherweise Devisen besaß, brauchte sich auf das Risiko der „Eigentumsverlagerung“ nicht einlassen, über dem baumelte aber ein anders geartetes Damoklesschwert, über mir hingen immer mehrere.
Das ganze Leben ist irgendwo recht risikoreich, aber durch meine Jäger und Sammlermentalität tangierte mich der permanente Mangel nur sehr selten, besonders der von Kleinigkeiten, die das Leben so angenehm machten.
Wer nicht über Vitamin „B“ verfügte, konnte einem schon fast leid tun. Was nützten da die Verinnerlichung gewisser kleinbürgerlicher Werte, vielleicht noch gepaart mit „Einsicht in die Notwendigkeit“? Jemand, der an so etwas glaubte, war entweder krank oder ein ideologisch verbogener Dummfick. Bei der Mutter meiner Schwester ließen sich beide Symptome nachweisen.
Manche Produkte benötigte man einfach nur zum Schmieren, z.B. bei Garantiereparaturen. Da öffneten Fahrradventile, ein paar Kilo Zwiebeln, Schrauben und Nägeln aller Art ganze Stadttore.
Allerdings stand ich am Ende meiner Ostzeit auch öfter mit beiden Beinen im Zuchthaus…
Mir war allerdings immer das Glück hold, außerdem arbeitete ich in solchen Augenblicken immer mit den richtigen Kollegen.
Kai Posmik ist ja vom Zonenalltag nur gestreift worden. Natürlich kannte das Strafgesetzbuch der DDR den Tatbestand des “Diebstahls sozialistischen Eigentums”. Rote Paragraphenkomiker nannte es aber „Diebstahl zum Nachteil sozialistischen Eigentums“. Mindestens einen Totensonntag gab es als Bonus, beim Nachweis von „verbrecherischen“ Diebstahl z. N. s. E.”
Als Beispiel – der Exportauftrag für den großen Bruder wurde nicht rechtzeitig fertig. Weil ein Kollege 1,5 mm dickes Kupferblech wegfand, dass eigentlich zum Stanzen von Dichtungsringen vorgesehen ward, er aber dringend Nachschub brauchte. Denn „Privat ging vor Katastrophe“, weil jener „Kunsthandwerker“ in seiner Freizeit Aschenbecher, oder Ständer für potthässliche Nachttischlampen trieb, die später bei der Westverwandtschaft landeten, vor Gericht auf einen milde gestimmten Richter traf und dadurch an Sabotage vorbei schlitterte.
Der Trabbidealer hatte Recht, wenn er meinte: „Ich kann ehrlich sagen, dass ich nie den Mut gefunden hätte irgendeinen Kaufhallendiebstahl auszuführen. Davor hätte ich zu viel Angst gehabt.”
Hier kurz die Schilderung, wie es der 70jährigen Oma Lenchen erging, als sie in der Kaufhalle beim Klaufen von vier Pfund Bohnenkaffee hochgezogen wurde.
Die Übergabe an die Polizei geschah mit einem riesigen Brimborium, zum Vergnügen vieler Gaffer. Auf dem Revier folgte eine erkennungsdienstliche Behandlung nach allen Regeln der Kunst, mit Photos, Klavierspielen und Verhören.
Danach schlich sie nach Hause und gab kein Wort zum Besten.
Gerüchte und das Mitteilungsbedürfnis der lieben Nachbarn in den Fickzellen des Viertel, entsprachen einem heißen Steppenwind, der durch alle Ritzen zieht.
Abends erreichten aufgebauschte Schilderungen den Rest der Familie und Oma spielte mit dem Gedanken aus dem Fenster zu hüpfen.
Der richtige Gong kam am nächsten Tag – detaillierte Polizeinotiz im Wurstblatt. Am Eingang der Verkaufsstelle ihr Konterfei, mit dem Hinweis, dass ihr bis auf weiteres das Betreten der Halle untersagt sei und man appellierte an die Bevölkerung, Zuwiderhandlungen unverzüglich dem zuständigen ABV oder den Verantwortlichen im Laden zu melden.
Den Rest erledigte ihre dummrote Tochter unter Genossen.
Vom Distriktsheriff kam der heiße Tipp, dass die Alte den VP-Arzt aufsuchen sollte. Dieser Medizinmann bescheinigte schwere gesundheitliche Bedenken, da nicht auszuschließen sei, dass Oma während der Gerichtsverhandlung einen tödlichen Zuckerschocks erleiden könnte…
Den Rest erledigte die Konfliktkommision des Wohnbezirkes
Strafergänzungsgesetz vom 11.12.1957
Die Genossen sagen immer, sie wollen Gesetze haben. Das ist gar nicht so einfach. Walter Ulbricht 1946
Bundesbürger, die an der deutschdeutschen Grenze in DDR-Gewässern angeln, verfolgt die schleswig-holsteinische Justiz — wegen Diebstahls sozialistischen Eigentums.