Stürmischer Tag

Gestern herrschte ein Sturm mit Windstärken um die 6 der Beaufortskala, SchwarzRotSenf auf dem Dach des Ministeriums für Finanzen stand wie ein Brett, Böen müssen 8 und mehr gehabt haben – keine guter Tag für Drahteselreiter, deshalb zog ich die Kombination von U-Bahn und Straße vor.
Hinterher kam es bei mir zu einem Kulturschock, erst mehrere Stunden in dem gigantischen Bau des Museums für Kommunikation, dann vor mir, auf dem Weg zum Potsdamer Platz, die eckigen Scheißhaufen aus Stahlbeton mit ihrer hochglobten Schießscharten-Architektur…

Am 2. Januar war es abends noch stürmischer, deshalb parkte mein Hirschlein am Alex, als ich in seiner Nähe einige Photos machte.
Wenn ich daran denke, was der Platz zu meinen letzten Zonenjahre für einen quirligen Eindruck hinterließ, der damals sogar den Vopos und vielen Genossen im dezenten Dederon-Loock nicht gefiel. Die mit nervigen Ausweiskontrollen und anschließenden Aktionen immer wieder für etwas mehr Platz sorgten – die roten Komiker nannten solche Maßnahme: Klärung von Sachverhalten, dafür ging es dann in das Bullenrevier Keibelstrasse, wenige Minuten von hier…

Als ich an der Tramhaltestelle – der M4 – eine Auskunft wollt, ringsherum nur spanische, englische und französische Klänge. Von vereinzelten Zeitgenossen kam auch nur, „english please“ oder: „Ich bin nicht von hier.“ Dann in der Tram weiteres babylonisches Sprachengewirr, nur bei den wenigen Leute, die mit dicken Klüsen herumhockten, schien es sich um Eingeborene zu handeln. Richtig, nach dem dritten Versuch kam endlich die korrekte Auskunft.
Auf der Rücktour, gegen 8:30 PM, gings wegen der vielen Graffitis per pedes weiter. War wirklich komisch, meistens redeten jene wenigen jungen Leute, die mir entgegenkamen oder mich überholten wieder nur Spanisch oder Englisch. Auf der Greifswalder erinnerte verkehrsmäßig alles an die 1970ger…
Der gerade erlebte Totentanz setzte sich auch am Alex fort, an den Haltestellen lungerte wartendes Volk und auch die wollten nur fluchtartig jene Gegend verlassen. Abgesehen von den erleuchteten Konsumtempeln, erinnerte der Rest auf dem Platz an eine riesige Mülldeponie des heutigen Frohsinns, mit dem Gekreische von Helene Fischer untermalt.
Dort traf ich aber auf die erste Berliner Pflanze – einen Flaschenhai, der mich grüßte. Während einer Rauchpause offerierte er mir seine letzten Jahre. Meinen Einwand, dass er bestimmt bald einen Gewerbeschein für seinen Job benötige und dafür auch noch Steuern blechen müsste, begegnete er mit Zustimmung. Ob ich ein Photo von ihm machen wolle, dafür gab es einen weiteren Glimmer. Anschließend noch einen zerknüllten, europaweit verbreiteten Spandaudollar, der sich schon mehrere Tage in der Tasche meiner Feldjacke tummelte.
Die ganze Zeit wehten Dudelsackklänge herüber. Machte abschließend noch ein Photo von der blinkenden „Nuttenbrosche“, die richtig futuristisch zwischen dem ganzen unbeleuchteten Sperrmüll durchschimmerte.
Lauschte dann dem hartgesottenen Highlander, der sich an der zugigsten Ecke des Platzes schaffte und kam auch mit ihm ins Gespräch. Nahm etwas davon auf, es gelang wegen der Windböen nur in mieser Qualität. Lukasz beschrieb darin seine CD, die ich ihm für einen Zehner abnahm – könnte die ganze Mucke auch ins Netz stellen…
Scottish-1äscottish-2äIm bescheidenen Cover prangt auf der Innenseite ein geiles Photo. (Weiß natürlich nicht, wo es herstammt.) Gut, egal wo man hinreist, wenn der Blick für Kleinigkeiten vorhanden ist, sind tolle Ecken anzutreffen. Solche Erinnerungen werden aber ewig eingeschränkter, da immer mehr Leichen irgendwo herumliegen und auf diese bleibenden Eindrücke kann ich verzichten. Zumal mir ein solches Erlebnis der anderen Art mit meiner damaligen Freundin Cami, am 30. April 1979, in Lissabon zuteil wurde. Wir erlebten, wie an der Straßenbahnhaltestelle, keine 10 Meter von uns, Leute einen Typen abstachen, der infernalisch brüllend, im Laufe von weniger Minuten, in einer riesigen Blutlache verendete.
Irgendwo, in den weiten des Blogs steht diese Geschichte auch irgendwo…
Wieder im beschaulichen Wilmersdorf, gab es noch eines Steigerung des gerade erst registrierten Totentanzes vom Alex, hier lief keine Sau auf der Straße herum.
Hinzu kam, dass in meiner Stammpinte RTL lief.
Nach einem Kaffee gings deshalb ruckartig in die Höhle…

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