Archiv für den Monat: August 2008

Babysimalator für Minderjährige

UWAGA! Uwaga!

Den folgenden Artikel fand ich auf Seite 1, in der vergangenen Freitagsausgabe – vom 29.August – nicht in einer nachträglichen Veröffentlichung vom 1.April. Eine noch krankhaftere Symptombekämpfung, die hoch dotierte Leute anleierten und verteidigen, ist mir noch nie vorgekommen. Ich frage mich, wer da seine Webfehler auskurieren sollte, trächtige Jungmuttertiere, oder die ewigen „Probierpädagogen“?   –    Warnung vor dem Kind Weiterlesen

Les Papillons

Gestern war ich mal wieder in einem der kleinen Varietés, dem „Zebrano“. Neben der „Scheinbar“ mein bevorzugtes Domizil, für Kabarett und anderweitiger Kleinkunst.

Das Schweizer Duo “Les Papillons” gab sich die Ehre. Beide kannte ich nur aus einem gemeinsamen Programm mit Andreas Thiel. Klasse was die Jungs fabrizieren. Musikalische Clownerie, während ihrer Raubzüge durch das Schaffen von verblichenen, scheintoten und noch lebenden Notenhandwerken. Wobei sie immer wieder gewaltige Bögen spannten, respektlos und witzig. Auch bei ihrer neuen Variante der amerikanischen Nationalhymne, die ja vor vielen Jahren bereits Jimi Hendrix aufs Korn nahm. Als eine gelungene Verstärkung muss man auch Benjamin, den Bruder des Teufelsgeigers ansehen, wobei er sein Instrument, ein Cello, nicht so malträtierte. Einige Bilder und etwas Konserve hänge ich noch dran. Weiterlesen

bəˈrɑːk hʊˈseɪn oʊˈbɑːmə

Es gibt Leute, die angesichts der Politverdrossenheit dauernd rumnölen, mich hat der Virus nun auch infiziert, was interessiert mich diese „Wahl“ im Amiland, jener Mischmasch aus Waschmittelwerbung und kommunistischer Parteitagsverklärung.
Für die heutigen 13-Uhr-Nachrichten schaltete ich die Glotze extra später ein, aber der Höhepunkt schien noch nicht erreicht und es kam noch schlimmer – ein vergleich der Parteitage hier und jene drüben, dazu verzückte Blicke der Nachrichtentante.
Zum Dessert bemühte man Hanni Hüsch, die Leiterin des ARD Studios Washington. Sie plapperte mit spitzen Mündchen ganz auf wichtig getrimmt, dabei erinnerte sie mich an jemand – es dauerte – richtig, ihre Mimik erinnerte mich an Mutter Beimer. Abschließend noch ein Experte, der wie üblich Fragen beantwortete, die einem vernünftigen Lebewesen nie einfallen würden…
Mal sehen ob ich es auch so banal hinbekomme, wie es der Möchtegern US-Präsident permanent schafft.
Also:
1. Politik ist der Spielraum den das Kapital lässt.
2. Würden Wahlen etwas ändern, währen sie längst überall verboten. Weiterlesen

Siechmund Jähn

Es stimmt, dass nicht alles schlecht war in der Zone.
Zwei Dinge sind mir äußerst positiv hängen geblieben. Tölen durften nicht in Kneipen und jeder Provinzbahnhof besaß ein öffentliches Scheißhaus. O.K., so manches erinnerte mehr an ein Plumpsklo in der kasachischen Steppe, aber trotzdem. Nun registrierte ich in den letzten Jahren noch eine Besonderheit, die man positiv betrachten muss. So lange ich dort lebte, betrieb man bei den Nazis nie Weißwäscherei. Das hat sich, was aktive Mitläufer der Kommunisten und ihrer willfährigen Helfer angeht, mächtig gewandelt. Dies kam mir im heutigen „Tagesspitzel“, Seite 3, wieder hoch. Weiterlesen

Digi-Müll

Schüttele heute mal digitalen Müll aus der Camera, alles im “bürgerlichen” Wilmersburg geschossene horizontale und vertikale Kunst

U-Bahneingang Güntzelstrasse

Spaghetti Napoli rückwärts gegessen? Hat keinen ausgehungerten Liebhaber gefunden, war scheinbar schlecht gewürzt, hat noch tagelang dort gelegen Weiterlesen

Endlich vorbei

Da hat der Westen den Kommunisten für deren Selbstdarstellung, ja eine eherne Basis gebastelt. Die Roten werden die Milliardeneinnahmen, wie üblich, brüderlich geteilt haben und das IOC wird es ihnen mit mehr als nur einen Kotau gedankt haben. Wer wird denn da bei wem, nicht nur Siegesfanfaren geblasen haben? Für ihrer Gigantomanie haben Funktionäre tief in die Trickkiste des Sinozentrismus gegriffen und allen scheint es gefallen zuhaben, im Reich des Bösen. Nebenbei, wo ist die gelbe Gefahr abgeblieben? (Ich meine damit nicht die hiesige FDP.) Weiterlesen

COCAINE-TIMUR UND SEIN TRUPP – ’78

Natürlich wurde am Biertisch auch darüber spekuliert, wie man schnell eine dicke Ma­rie machen könnte, um anschließend für immer in die Karibik zu verduften – Licht, Luft, Sonne, Käthen und das beste Gras wo gibt.
Was aber, wenn man bürgerlich gehandicapt ist?
Irgendwann gehen einem diese eckigen Seifenblasen mächtig auf den Keks.
Trotzdem tauchte immer mal wieder jemand auf, für den es ein Bedürfnis schien, uns zu langweilen, um sich dabei verbal einen runterzuholen. Jene Nervensäge spielte damals ein junger Typ, ebenfalls aus Ostberlin, sein Lebenslauf glich Bummis, nur schien er etwas besser drauf zu sein. Eines Tages kam er ganz aufgeregt an unseren Tisch, gab zum Besten, dass ihn ein älterer Herr für eine Woche nach Thailand einlud. Schien nichts Ungewöhnliches zu sein. Klar, konnte ja schließlich jedem passieren.
Von Achim kam nur: „Entweder du bist jetzt auch für die Frauen­welt verloren, oder dein netter Herr weist dich als Kurier für harten Dope ein. Na dann viel Spaß!“
Richtig wütend verschwand unser reiselustiger Genosse.
Hier möchte ich alles arg verkürzen.
Er kam braungebrannt retour, um ein paar Wochen später wieder gemeinsam nach Bangkok zu jetten. „Und Leute – nix mit schwul und so.“
„Dann das andere!“
„Ihr Idioten seid doch nur neidisch…“
Diese geschwätzige Flachzange stand vor seinem letzten Trip nochmals im Zil­lemarkt auf der Matte, „Ätsch – ihr Blödmaxen, ich mache jetzt eine Reise über Thailand quer durch die USA. Ich werde euch schreiben!“
Mittlerweile schon ein weit gereister Weltmensch, flog unser Traveller allein von Bangkok über San Francisco nach New York. In NYC wurde er gefragt, ob er einen kleinen Lederkoffer für den netten spendablen Herrn mitnehmen könne, den selbiger, welch Pech, leider ein paar Tage vorher vergaß. Natürlich konnte er.
Ihn übermannten in der Situation sicher Erinnerungen aus Kindheitstagen. Denn als Ableger roter Zecken schien er bestens mit „Timur und sein Trupp“ vertraut. Kernaussage jenes Bolschewiken-Bestseller für Heranwachsende: Jeden Tag eine gute Tat. Warum soll­te er da nicht seinem Reisesponsor einen Gefallen tun?
In Frankfurt wurde unser Spezie hopp genommen, mit von der Partie waren sei­ne beiden Sitznachbarn aus dem Flieger. Als unbedarfter Drogenkurier und guter Pionier bekam er nur vier Jahre aufgebrummt. Allerdings war die Angelegenheit noch mit einem kleinen Haken behaftet, denn er stand wegen jener Gefälligkeit beim deutschen Zoll mit 280 000 DM in Kreide, für illegal eingeführten Koks.
Ein dreiviertel Jahr später.
Mit Freunden lungerte ich in Europas größter Diskothek dem „Sound“ rum. Plötzlich stand Achim aufgeregt neben mir: „Alter, wir haben eben unseren weit gereisten Freund getroffen, der eigentlich noch in Tegel hängen müsste. Der meinte nur, als ich ihn anquatschte, dies wäre eine Verwechselung, allerdings verdünnisierte er sich daraufhin verdammt schnell.“
Tja, es gibt Leute, die versuchen nie, über ihren Schatten zu springen.
Da schien er doch schon wieder jemandem einen Gefallen zu tun, aber einen, der tödlich ausgehen konnte. Wir nahmen an, dass unser Timur nun für den Trupp des Rauschgiftdezernats auf dem Strich ging.

EIN ZENTNER KNETE – ’78

Bummi kam aus einem Stall mit DDR-spezifischen Edelkommunisten als Eltern.
Aber nach dem, was eigentlich so Vater- und Muttertier ausmachten, hätte man beide not­schlachten sollen.
Kaum das Abi in der Tasche, versuchte er sofort, sich über Ungarn nach Öster­reich zu verflüchtigen. Es blieb aber nur bei dem Versuch. Ähnlich wie bei mir, en­dete der Wandertag am Draht, da ihm die Ohren und Nase eines Deutschen Schäferhundes dazwischenkamen.
Nach seinem Urlaub im ungarischen Staatsgefängnis bastelten die Genossen in Hohenschönhausen monatelang herum, bis sie für diesen Trip eine Belohnung von 4 Jahren zusammen bekamen. Da zählte sogar strafverschärfend, dass er sich in seinen letzten Schulferien “den Zugriffen der staatlichen Organe der Dä Dä ÄR” entziehen wollte. Anschließend hieß es bis zum letzten Tag, den ” humanistischen Strafvollzug” in Brandenburg genießen.
Gleich zu Beginn seiner Knastzeit sagten sich Vati und Mutti schriftlich von ihrer missratenen Brut los, um ihre sozialistische Laufbahn nicht zu gefährden.
(Schon damals kam mir auf, im Nachhinein sehe ich es noch radikaler. Auch in dieser Scheißsituation, bleibt bei einem Ende mit Schrecken wesentlich mehr für sich selber übrig, als bei den allmählichen Schrecken ohne sichtbares Ende. In den Jahren verpufft ein Haufen Energie, denn Hass ist ein gefräßiges Hydra, aber früher oder später gewöhnt man sich an ihr unsichtbare Präsenz, von da an geht es einem wie Elwood mit Harvey…
  – Allerdings habe ich bereits zu früheren Jahren, einen sehr wichtigen Hinweis vom Großvater verinnerlicht: „Beginne niemals irgendwelche widerwärtigen Individuen zu hassen, denn grenzenloser Hass kehrt sich irgendwann nach innen und frisst dich schließlich auf. Wenn du nach bedenklichen Situationen etwas zum Selbstschutz unternehmen musst, lass jene Leute von Anbeginn deine Verachtung spüren, aber immer nur auf eine ruhige und möglichst süffisante Art!“
Gott sei Dank, ich kenne beide Seiten, bemerke aber, dass jenes Füllhorn aus behüteten Kindheitstagen nicht bodenlos ist. Hinzu kam, dass auch die Umgebung mächtig abfärbte…)
Bummi, besser gesagt das, was von ihm übrig geblieben war, lernte ich beim Psychodoc Ham­pel kennen. Wir liefen uns außerdem bei unseren Behörden­gängen immer wieder über den Weg. Beiden war uns das Glück hold, tagelang aus dem Marienfelder Auffanglager separat in Luxusschlitten zum CIA nach Dah­lem gekarrt zu werden.
Diese ganze Angelegenheit mit den Geheimdiensten fanden wir einfach nur lächerlich. Beginnend beim Staatsschutz in Gießen, der dort sogar Obacht gab, dass ich in der ersten Nacht im Lager nicht bei einer Käthe, die ich im Bus aus Chemnitz kennen lernte, unter die Bettdecke kroch. (Während eines längeren Gespräches stellte sich heraus, dass ich ihren Bruder aus Rostock kannte.)
Zum Piepen war es beim Secret Service und der Surité, die im gleichen Haus residierten, wobei es bei den Franzosen in der Regel nur darum ging, dass jemand sehr gewichtig auf den Laufzettel einen Stempel knallte. Hinzu kam, dass man sich verpflichten musste, dem anderen Kollegen nichts zu erzählen über die gestellten Fragen und den daraus resultierenden Antworten. Mir ging dies am Arsch vorbei, schließlich war ich schon in Gießen unangenehm aufgefallen, da ich nicht Klavier spielen wollte. Ich tat dabei meine Meinung kund, wenn sie schon die Fingerab­drücke von mir haben wollten, sie diese sich doch bitte schön, aus der Zone, von Mielkes Bütteln besorgen sollten. Warum haben die Drüben, nicht wirklich alles mit rüber gegeben? Als Antwort kam, sie verfügten über verdammt viel Zeit und ich dürfte das Lagergelände nicht verlassen.
Berlins Geheimdienstler am Platz der Luftbrücke waren identisch mit denen ein paar Kilometer weiter in der „Hauptstadt“.
Schon merkwürdig, Geheimdienstmannen sind fast überall gleich. (Die ungarischen Genossen machten eine Ausnahme! Alles was mich damals betraf, schien ihnen scheißegal zu sein. Dies muss ich mal lobend erwähnen.) Im­mer schlecht gespieltes, dümmliches Gehabe und dauernd der lächerliche Versuch sich als die wichtigsten In­dividuen auf diesem Planeten zu verkaufen, mit ewig wiederkehrende identisch-idiotische Fragen und Bemerkungen, und die können auf Dauer sehr nerven. Dabei sind “Vernehmer” doch nur Knechte, des imaginären Räderwerkes der Exekutive, die verbale Scheiße quirlen müssen, um sie dann zu verkosten ob nicht ein Brösel drin ist, der zum Puzzle der Mosaikspionage passt.
Bummi spielte in der ersten Zeit immer wieder mit dem Gedanken, sich zu entlei­ben, was er schließlich verwarf. Trotzdem war mit dem Jungen rein gar nichts anzufangen, hatte Bammel ins Kino zu gehen, traute sich nicht in Knei­pen, hockte im Rotkreuzheim nur auf seiner Viermannbude rum und litt mächtig unter Heimweh. (Ich vermutete, dass er als junges Frischfleisch, unter den Augen der Vollzugsbeamten, in Brandenburg sofort mit einem BVer* (ugs. Knastjargon, Berufs Verbrecher) verheiratet wurde.)
Dann verlor ich ihn monatelang aus den Augen.
Als sich unsere Wege wieder kreuzten, gingen wir sofort auf ein Bier, währen dessen blubberte der Junge ohne Punkt und Komma los. Als erstes kam die Einladung zu seiner demnächst stattfinden Geburtstagsfeier. Bummi lebte mit einer sehr sympathischen, gleichaltrigen kleine Wessibraut aus Südwestdeutschland zusammen. Das Mädel wohnte für ein Jahr an der Rennbahn Marienfelde, in einem Silo für Leute aus Wessiland, die in Berlin ihren Erstjob aufnahmen, dort war er in ihrem kleinen Wohnschließfach untergekrochen.
Die Fete fing so lala an, allerdings fast fifty fifty Ossis und Wessis, um die 15 Leute in dem kleinen Loch. Von Zoniseite aus, war es natürlich übermackert und Ursel hatte noch nie solch ein Rudel erlebt, welches ganz anders drauf war, besonders was harten Alk anging.
Mann, taten sich da Abgründe auf. Am Anfang fanden es die Bekannten von Bummis Freundin noch witzig, na ja, mehr interessant, wie in einem Erlebnis­zoo, inmitten von anders gearteten menschlichen Wesen. Es fing an, sich zu wan­deln, als es um die Musik ging. Ost wollte alte olle Schdonsgamellen*(ugs.sächsisch, Hits der Rolling Stones), West die gerade angesagten Hits.
Weil das Geburtstagskind mehr zu den älteren Sachen neigte, liefen auch mehr diese Klänge, bald begann eine intensive Anbaggerei, was den Südländern irgendwann überhaupt nicht mehr zusagte.
Bummi litt unter panische Angst, vom Haschisch rauschgift­süchtig zu werden und seine Freundin lehnte kiffen auch strikt ab, deshalb pickte ich still auf dem Balkon das Hörnchen ein, statt mich abzufüllen und beobachtete dabei durch die Fensterscheibe das Treiben im Inneren. Die Tür sollte wegen des Lärms im­mer gleich wieder geschlossen werden, deshalb bekam ich fast nichts von der Konversation mit, hörte das Wummern der Bässe, dazwischen noch lautere Gesprächsfetzen, die aber keinen Sinn ergaben, und sah dabei wild gesti­kulierende Leute, die diese Laute ausstießen. Dann registrierte ich, dass Bummi und seine Freundin längere Zeit im Zimmer nicht anwesend waren. Es stellte sich heraus, dass es wegen der Lautstärke Beschwerden aus der Nachbarschaft gab und beide in der Winzküche einen Disput ausfochten, in deren Folge die Musik etwas leiser gestellt wurde.
Ich weiß nicht mehr, wie Bummi dazu kam, jedenfalls besaß er einen Karton mit seinen alten Zonenscheiben, und wollte aus ihm ein Teil spielen, was nicht ankam. Denn nach Wessimeinung konnte es nur Schrott gewesen sein, was drüben produziert wurde, da auf DT 64 auch nur Westmusik dudelte. Wobei sich zwei Gruppen bildeten und ich mich auf Seiten der Bundis wieder ­fand, allerdings nicht so undifferenziert wie sie. Die sich entwickelnde Streiterei, veranlasste mich wieder auf den Balkon zu verschwinden, in der einsetzen­den Dämmerung betrachtete ich das Treiben unten auf der Straße und der Laubenkolonie. Dann stand Ursel neben mir, Tränen kullerten über ihre Wangen. Sie wollte von mir eine Erklä­rung, warum Bummi immer so merkwürdig daherkam. Was sollte ich dazu schon ablassen. Schließlich reichte ihr mein Zuhören, und musste entsetzt feststellen, dass sie nach Monaten des Zusammenseins, fast nichts von ihrem Freund wusste. Ab und zu schaute Bummi durch das Balkonfen­ster zu uns raus, dabei lächelten sich beide gequält an. Auf ihren Einwand hin, dass sie dies alles nicht mehr aushalten könnte, nahm ich sie in die Arme. Lautlos, am ganzen Körper bebend begann sie hemmungslos zu weinen. Ihr Freund regi­strierte dies, kam aber erst ein paar Minuten später raus und umarmte uns beide, auch mit Tränen in den Augen. Damit konnte ich nun überhaupt nicht umgehen, entzog mich sanft beider Umarmungen, ging nach drinnen, leerte eine halbe Flasche Wodka auf Ex und wollte gehen. Ließ mich aber schließlich zum Bleiben über­reden. Gleichzeitiges Kiffen und Saufen ist, wie gegen den Wind Pinkeln, deshalb verzog ich mich erst mal auf den Topf. Als Sitzpisser musste ich eine ganze Weile eingeratzt sein, lautes Türklopfen weckte mich. Außerdem kamen aus dem Wohnzimmer jetzt ganz andere Geräusche, leise Musik lief, und so wie bei einem Feuerwerk, “Ahhs” und “Ohhs”. Ins Zimmer wankend registrierte ich, ausnahmslos Frau­en hockten im Raum und die Typen schafften sich mit großem Hallo auf dem Balkon, vorn weg Bummi. Dann bekam ich mit, was diese Idioten trieben. Alles machte sich über seine Ost-Platten her. Zerrissen die Cover in kleine Schnippsel und schmissen sie wie Konfetti ins Zimmer, die Venylscheiben segelten in Richtung der Kleingartenanlagen. Unten auf der Straße war auch Gau­di angesagt. Einige Halbstarke trieben ebenerdig das gleiche Spiel. Aggressiv ging ich dazwischen, wollte noch etwas retten, aber hoffnungslos. Da gingen Platten über die Wupper, die für mich mal einen nicht zu beschreibenden ideellen Wert darstell­ten, an denen ich zu Zonenzeiten hing. An die ich in der Provinz, nur unter größten Schwierigkeiten gelangt war, und sie während meiner letzten Monaten dort, weit unter Preis verkloppte, hauptsächlich für Suff und Chemie.
Scheiße, da flogen sie dahin. Jene einzigen, für meine Begriffe vernünftigen AMIGA-Erzeugnisse: die Folkbluesscheiben; Jazz, Lyrik, Prosa; die Beaz, Pete Seeger; Dylan, die Beatles… Folklore aus dem ganzen Ostblock, Bachwerke gespielt auf Silbermannorgeln. Das Geburtstagskind hämmerte die restlichen Scheiben wie ein Bekloppter auf die Balkonbrüstung und versuchte sie anschließend durch hin und her biegen zu zerbrechen, rasend vor Wut.
Stinksauer rannte ich nach unten, es war aber nichts zu retten. Oben sah und hörte ich die Meute, Bummi schien nicht mehr bei Sinnen zu sein.
Langsam schlich ich von dannen, fast schon an der U-Bahn kam mir: was, wenn Bummi durchdreht, außerdem lag mein Parka noch in der Wohnung, also zurück. Oben begannen sich die Reihen zu lichten, zwei Mädels fingen an aufzuräumen. Jemand gab mir ein Zeichen nicht auf den Balkon zu gehen. Bummi lauerte dort, beide Hände in die Brüstung gekrallt und starrte ins Nichts. Ursel stand außen, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, hinter ihrem Freund und blickte ihn gebannt an. Ich glaube, in ihr stieg Angst hoch, dass er mit dem Gedan­ken spielte, Schluss zu machen. Leise rief ich seinen Namen. Endlich drehte er sich um, packte meine Schultern, drückte mich kurz, verschwand in der Küche.
” Der wird sich doch dort nichts antun?”
“Quatsch, hört auf, so etwas zu denken!”. Von meinen Worten war ich allerdings selbst nicht überzeugt, setzte mich an den Tisch und begann ein Dreiblatt zu bauen. Platzierte es anschließend unter dem Firmenetikett meiner Baskenmütze und schmiss mir den Parka über. Von Ursel verabschiedete ich mich durch Strei­cheln, sie hockte umschlugen mit ihrer Freundin auf dem Sofa und beide weinten. Nun musste es schnell gehen, ich klopfte noch an die Küchentür, ” He, Bummi! Gib Laut! – Gehörprobe!”
Nichts.
Nach nochmaligem Klopfen, “los komm rein Ede, du Arschkeks.”
Ich fand ihn, im Dunkeln auf dem Boden hockend, mit beiden Armen seine Knie umschlungen, “Machs gut, Stary!” klopfte auf seine Schulter und wollte beim Rausgehen die Tür hinter mir zuziehen, “lass auf, Alter!”
Im Flur lief mir Ursel in die Arme. Nachdem ich mich von ihrer Knuddelei befreit hatte, kam noch: “Sag mal, seid ihr immer so gewesen?”
“Glaube nicht”, allerdings konnte ich mit ihrer Frage nicht so richtig etwas anfangen.
Längere Zeit herrschte Funkstille zwischen uns, unerwartet rief Bummi an, sein Abi wollten die Behörden unter sehr fragwürdigen Gründen nicht anerkennen. Größtes Hindernis schien die lange Haftstrafe nach dem Schulabschluss zu sein. Es bestand aber die Möglichkeit, zu Beginn des neuen Schuljahres probeweise in die 13. Klasse einzuschulen, oder sofort in eine schon laufende 12. Klasse zu gehen.
Kurz nach diesem Gespräch tauchte er abends wieder mal im “Zillemarkt” auf und ließ einen Haufen Blödsinn mit Andeutungen ab, dass er demnächst auch an das Große Geld herankommen würde, denn ein alter Kumpel aus Brandenburger Tagen war aufgetaucht.
Kurz darauf presste jemand neue Hüte, aber mit riesigen Krempen. Es war auch von einem bewaffneten Bankraub die Rede. Als ich dann im “Tagesspiegel” das Konterfei seines Spezis mit Steckbrief sah, beschloss ich, Ursel anzurufen. Tagelang ging niemand ans Rohr. Es stellte sich heraus, dass die Sache mit dem Knack den Tatsachen entsprach und sie sich wegen der Pressescheißfliegen ei­nige Tage im Wessiland aufhielt. Wir trafen uns, zu ihr nach Hause wollte ich nicht, und sie in keine Kneipe, also gingen wir spazieren. Dabei spulte Ursel alles ab, ange­fangen von Bummis Geburtstagsfete, bis zu seiner Verhaftung. Nebenbei, ihr die Beziehung von den ersten Tagen an Kopfzerbrechen bereitete. Dass ihr Schmusie im Osten einsaß, wusste sie freilich, aber nichts von den vier Jahren. In den ganzen Monaten, die sie zusammen ver­brachten, gingen fast alle Aktivitäten von ihr aus. Der Aus­setzer am Geburtstag gab ihr schwer zu denken. Da hätte sie Schluss machen müssen, denn die ewigen Depressionen von Bummi gingen ihr langsam auf den Senkel, obwohl sie ihn immer nett und zuvorkommend fand. In jener Nacht waren sie sich auch das erste und einzige Mal horizontal eins. Sein Schwur, dass von nun an al­les anders würde und er alles unternehmen wollte, damit man sein Abi doch aner­kannte, um sofort ein Studium zu beginnen, rutschte bald in Richtung Meineid weg.
Anfangs ließ sich alles gut an, aber dann kamen die Rückschläge während der Behördengänge. Von einem Schlag auf den anderen, war keine Rede mehr vom Abitur, nur noch vom großen Geld. Bummi schien wie ausgewechselt. Tag und Nacht unterwegs, er­zählte aber nicht, was er trieb. Schließlich lernte sie den Grund kennen: seinen al­ten Kumpel Meier, einer der schweren Jungs, die in den Bussen von Chemnitz die hinteren Sitze belegten, und die der Westen gratis bekam.
Ursel konnte ihn vom ersten Moment an nicht ausstehen. In der rauen See fand sich ein Strohhalm. Sie schlug ihrem Freund vor, gemeinsam eine größere Wohnung zu suchen, außerdem finanzierte sie auch noch seinen Führerschein. Eine folgeschwere Hilfestellung, wie sich bald herausstellen sollte. Nichts half. Dem Einfluss des ehemaligen Knastkollegen konnte sie nichts erwidern, im Gegenteil. Als Bummi die Pappe endlich besaß, wollte er sofort ein größeres Auto, also musste Knete her, und Meier fand die zün­dende Idee. Alles lief so schief, schräger ging es gar nicht.
Für die entscheidende Aktion musste ein Auto her. Da beide wenig Ahnung besaßen, wie man Autos knackte, musste Ursels Karre als Fluchtfahrzeug herhalten. Wenn ich mich richtig erinnere, lief der Knack am späten Vormittag ab, in einer Bank Nahe der Kreuzung Haupt- Ecke Dominicusstrasse.
Der Überfall konnte durch die ” große Aufmerksamkeit eines wachsa­men Bürgers“ sehr schnell aufgeklärt werden – nix da, denn es war zufällig der deutschen Tugend eines Parkplatzsuchers zu verdanken, dass die Po­lizei sehr schnell am Ort des Geschehens auftauchte.
Folgendes lief damals ab.
Bummi sollte im Auto bei laufendem Motor auf seinen Kumpel warten. Da ihm alles zu lange dauerte, beschloss er, nachzuschauen. In diesem Moment erschien der “aufmerksame Zeitgenosse”, bemerkte auf “seinem Parkplatz” die laufende Karre, nahm an, dass jemand nur kurz in die Bank rein sei, um schnell etwas zu besorgen. Schließlich stieg der Mann aus seinem in zweiter Spur haltenden Fahrzeug, rauchte auf dem Gehsteig eine Zigarette und ging dabei auf und ab, stellte deshalb an dem anderen Fahrzeug zwei verschiedene Nummern­schilder fest. (Eins, der von Meier besorgten alten Nummernschilder, war auf der kurzen Fahrt abgefallen – das benutzte Teppichklebeband stammte bestimmt vom Schnäppchentisch.) Stracks eilte er zur nächsten Telefonzelle und benachrichtigte die Poli­zei. Während dieser Zeit erledigten die beiden Jungs in der Bank ihr Geschäft. Es zog sich etwas länger hin, da Bummi mit einer Kleinigkeit nicht einverstanden schien. Angeblich war der Tresor durch Zeitschlösser gesichert. Meier be­stand aber darauf, zumindest die habhaft werdende Knete einzusacken. Was er, entgegen Bummis Ansicht, auch tat. Dabei fielen fast nur 5-Markstücke an, allerdings über ein Zentner, was ungefähr 5000 DM entsprach. Also den Sack auf den Buckel und raus.
Gemeinsam fuhren sie zum U-Bahnhof “Alt Tempelhof”. Dort schnürte der Scheff mit Hilfe einer Wolldecke ein unauffälliges Bündel und verschwand im Underground. Bummi raste nach Mariendorf und knallte sich in die Falle. Kaum im Bett, klingelte es. “Total verschlafen und gähnend” beschwerte er sich ob der Störung. Allerdings waren die Grünberockten auf dem Treppenabsatz sehr humorlos, denn sie ließen den “Langschläfer” noch nicht mal ausreden, for­derten ihn ziemlich unsanft auf, sich anzuziehen. Er könne sich auf der Fahrt ins Revier überlegen, was er dort zum Besten geben wolle.
Nachdem ich Meiers Konterfei im “Tagesspiegel” ansichtig geworden war, vergingen kei­ne zwei Wochen, da ward auch er gekascht und von der schweren Beute nichts mehr vorhanden, scheinbar alles verflippert.
Wegen bewaffneten Bankraubes wurden acht und sechs Jahre Haft beantragt. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht.
Ursel verzog unbekannt.

21… August 1968

aus: …verschollen unter Hallensern, Halloren und Halunke (1983)

… eine an Schärfe zunehmende Pressekampagne gegen die Zustände im Tschechland verlagerte sich immer mehr auf die Titelseiten der Postillen.
Tägliche Zeitungsschauen, die sich mit jenem Thema befassten, verkamen immer mehr zu Vorlesestunden von Resolutionen. Da wurden Drohungen aller Parteivorsitzenden der Kommunistischen Partei des Warschauer Paktes vorgetragen, Erklärungen diverser Zentralkomitees zum Besten gegeben, Stellungnahmen des „werktätigen Volkes“ verlesen, und in Prag gaben sich die Stare des Warschauer Paktes die Klinke in die Hand. Frenetisch empfing die Tschechoslowakische Bevölkerung Tito und den Führer aus Rumänien. Sogar Ulbricht erschien mit Gefolge, ihn hätten die Leute sicher gerne in seine tauben Nüsse gelatscht… Weiterlesen