Drei Sätze von Sven Hedin, vorher aber etwas über Schweißmauken

Meine letzte U-Bahnlektüre war ein Büchlein über den schwedischen Entdecker, nichts besonderes. Wem Hedin nichts sagt, erfährt aber trotzdem einiges über ihn.
Allerdings wird mit keinem Wort seine Spionagetätigkeit in den bereisten Ländern erwähnt. An die drei abschließenden Sätze kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber an die Szene mit den Stiefeln!
In Großvaters Bibliothek befanden sich ein paar Jahrbücher: Der Gute Kamerad.
Neben Karl May, fand man dort auch Kurzgeschichten von allen möglichen Schreibern aus den unterschiedlichsten Ländern. Jene Folianten wiesen mir den Weg zu den Originalen, die natürlich ebenfalls in Opas Regalen standen, so wurde ich bald ein großer Fan von Sven Hedin. In meiner Kind- und Jugendzeit kamen durch Bestrafungen meiner Erziehungsberechtigten sehr viele Monate an Stubenarrest zusammen, könnte diese Zeit sogar in Jahren zählen. Aber die vielen Bücher von Klassikern der Weltliteratur, eröffneten mir gigantische Horizonte, wobei ich bei aufkommenden Fragen, natürlich auf sofortige Hilfe der Großeltern zählen konnte. Deren Tochter behauptete später immerfort, ich hätte permanent falsche Schlussfolgerungen aus dem vielen Lesestoff gezogen.
Wesentlich entscheidender war für mich aber die Tatsache, dass mir in meinem weiteren Leben jegliches Unrechtsbewusstsein, nach sogenannte Bestrafungen, fast gänzlich abhanden kam, egal um was es dabei auch ging, wenn jemand versuchte mich auf irgendeine Art zu disziplinieren…

Hier erst die Stiefelgeschichte.
Bei deren Vorstellung mir damals fast das Kotzen ankam, wegen der Vorstellung, dass dieses arme Schwein ja eine Schweißmauken-Bouillon saufen musste.

Der Sand war 52,7 Grad heiß, und die Dünen ragten an etlichen Stellen 60 Meter empor. Zwei Wochen mußten sich Tiere und Menschen durch dieses Inferno schinden, bis Sven Hedin dahinterkam, daß Jolltschi aus Bequemlichkeit in Merket die Wasserkanister nicht hinreichend gefüllt hatte.
Zuerst starben nun die Kamele; das letzte Schaf und den Hahn schlachtete man, um ihr Blut aufzusaugen. Es War gespenstisch: Ausgemergelt, mit blödsinnigem Gesichtsausdruck und starren Augen saß Jolltschi vor dem Zelte und kaute an den feuchten Lungen des Schafes. Seine Hände waren blutig und das Gesicht ebenfalls mit Blut befleckt.
Er hatte keine Kraft mehr, sich Weiterzuschleppen, und so wurde er mit Mohammed Schah, der bereits im Koma lag, auf Nimmerwiedersehen zurückgelassen. Auch Islam Bai blieb auf der Strecke – als letzter gab am S.Mai Kasim Achun auf, obwohl Sven Hedin an diesem Tag – einem Sonntag übrigens! – den Uferwald des Chotan-darja erreicht hatte. Gestützt auf einen Spaten zog er jetzt allein weiter und fand am Abend – dreizehn Tage später als berechnet- endlich Wasser.
Nie ist das Leben mir schöner, reicher und werthvoller erschienen als in dieser Nacht im Bette des Chotan-darja. Die Zukunft lächelte mich wie in einem Lichtermeer an. Es verlohnte sich, zu leben, und das Gerede, die Erde sei ein Jammerthal, war in meinen Augen eine leere Fabel. In dem verziickten Zustande, in dem ich mich befand, war es mir, als habe mich ein Engel des Himmels durch das nächtliche Dunkel nach dem kleinen Tümpel geführt, und ich glaubte, das Rauschen seiner Fliigelschläge zu hören.

Doch nun flog der Gedanke zu dem sterbenden Kasim zurück, der hinten im Walde lag und mit dem Tode kämpfte, ohne im Stande zu sein, sich zu bewegen, geschweige denn, den dreistiindigen Weg bis zum Wasser zurückzulegen. Er bedurfte baldiger Hilfe. Die Blechbüchse war zu klein; sie hätte ihn das Wasser nur flüchtig kosten lassen. Was war zu thun? Wie würde ich ihm eine hinreichende Menge Wasser bringen können?
Die Stiefel! Natürlich, meine schwedischen, wasserdichten Stiefel! Sie waren ebenso gut und ebenso sicher wie irgendein anderes Gefäß. Mit einem Plumpse tauchten sie in das Wasserbecken hinab; dann zog ich die Strippen auf die Enden des Spatenstiels, trug ihn auf der rechten Achsel und wanderte leichten Schrittes eilig den Weg, den ich gekommen, zurück.

Als ich bei Kasim anlangte, lag er noch in derselben Stellung, wie ich ihn verlassen hatte. Er betrachtete mich anfangs mit wild starrenden, blödsinnigen Blicken; doch als er mich erkannte, machte er eine Kraftanstrengung,
kroch zu mir hin und flüsterte: «Ich sterbe!»
«Willst du Wasser haben?›› fragte ich gelassen. Er schüttelte den Kopf und sank zusammen. Er ahnte nicht, was die Stiefel enthielten. Ich nahm den einen Stiefel und ließ ihn das Schwappen des Wassers hören. Er zuckte zusammen, stieß einen unartikulierten Laut aus, und als ich ihm den Stiefelschaft an die Lippen setzte, trank er ihn in einem Zuge aus, und im nächsten Augenblick leerte er auch den andern.
Nichts vermochte jemals mehr die perfide Zelebration eines Quellwunders aus schwedischen, wasserdichten Stiefeln an öffentlicher Wirkung zu übertreffen.

Jene drei Sätze stammen aus einem Brief von 1949 und sind vollkommen zeitlos.
Vielleicht findet man sie bereits in Keilschrift auf 5000jährigen Tontafeln aus Mesopotamien.
Ja, die Welt ist nicht besser geworden, seit wir uns (im Jahre 1926) das letzte mal gesehen haben! Ein scheußlicher Verfall von Verstand und Moral greift überall um sich, und die ganze Welt verwandelt sich in ein Tollhaus.
Die Politik, die von den Westmächten betrieben wird, führt zu Europas Untergang, zum Untergang der Welt und ihrer Kultur. Die Menschen sind vom Wahnsinn gepackt wie von einer pathologischen Seuche, und «gegen die Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens».
Fast 70 Jahre bedeuten doch auch schon etwas und von der Aussage her hat sich nüscht geändert…

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